„Es ist auch ein Nein zur Union“

BUNDESPOLITIK Auf die Situation in Gesamt- deutschland hat die Entscheidung in Thüringen vorerst keine Auswirkung, sagt der Politikwissenschaftler Stephan Klecha

■ 36, ist Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zu den Schwerpunkten seiner Lehr- und Forschungstätigkeit gehören Regierungsformate und die Veränderungen des Parteiensystems. Nach seinem Studium in Göttingen, wo er auch seine Dissertation zur Jugendarbeit der IG Metall verfasste, hat er unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unterrichtet.

taz: Herr Klecha, Rot-Rot-Grün als Koalitionsoption für den Bund galt zuletzt als tot. Ist nach dem Votum aus Thüringen zumindest wieder ein Puls zu spüren?

Stephan Klecha: Neue Koalitionen auf Bundesebene werden zwar in der Regel in den Ländern vorbereitet, aber in diesem Fall sind die Unterschiede zwischen Thüringen und dem Bund doch gravierend. Erstens entsprechen die Kräfteverhältnisse in Erfurt nicht unbedingt denen im Bundestag. Zweitens spielen Außen- und Sicherheitspolitik im Landtag keine Rolle – und diese Themen sind derzeit das größte Hindernis für Rot-Rot-Grün im Bund.

Die Realos in der Linkspartei sind nun aber zumindest gestärkt. Immerhin könnte ihr Flügel demnächst den ersten linken Ministerpräsidenten stellen.

Na ja, bisher war es doch meistens so: Wenn die Linke eine Koalition eingegangen ist, hat sie bei den nächsten Wahlen verloren. Im Gegenzug haben in der Regel diejenigen Kräfte Auftrieb bekommen, die sich von realpolitischen Orientierungen an Macht und Mehrheiten eher fernhalten.

Rot-Rot-Grün in Thüringen könnte also eher dazu führen, dass sich die Linke im Bund noch weiter von SPD und Grünen entfernt?

Abwarten. Durch einen Ministerpräsidenten hätte die Partei natürlich mehr Handlungsstärke als in bisherigen Koalitionen. Deswegen könnte diesmal ein anderer Effekt eintreten.

Die Thüringer SPD ist aus der Bürgerrechtsbewegung hervorgegangen. Trotzdem haben ihre Mitglieder einem Bündnis mit der Linkspartei zugestimmt. Ein Persilschein für die Linke auch im Bund?

Das Thema wird uns in den nächsten Jahren sicherlich begleiten. Falls irgendwann die Bundesparteien über Rot-Rot-Grün sondieren, würde diese Frage natürlich auch bundesweit eine große Rolle spielen. Der Mitgliederentscheid in Thüringen war aber sehr situationsabhängig. Ramelow hat als Westdeutscher nun wirklich keine SED-Vergangenheit. Außerdem ist die Gemengelage in Thüringen eine besondere. Die Entscheidung der Mitglieder ist nicht nur als Ja zur Linkspartei zu verstehen, sondern auch als Nein zur Union und den Erfahrungen in der Großen Koalition.

Sie stimmen also der SPD-Spitze zu, die betont, die Situation in Thüringen habe keine Auswirkungen auf Berlin?

Im Großen und Ganzen stimme ich zu. Es wird zwar eventuell einen Effekt geben, wenn das Bündnis in Thüringen mit großem Erfolg vonstattengeht. Aber das werden wir frühestens bei der Landtagswahl 2019 sehen. Es mag also Auswirkungen geben, aber nicht so unmittelbar, dass sie schon bei der Bundestagswahl 2017 zu spüren sind.

INTERVIEW: TOBIAS SCHULZE