Der Star unter Kölns Kirchen

Das katholische Köln hat eine besondere Dichte von modernen Sakralbauten, und der moderne Kirchenbau von St. Engelbert hat Weltniveau. In St. Engelbert predigte Kardinal Josef Frings einst den legalisierten Klau

Der Kölner Dom heißt eigentlich „Hohe Domkirche St. Peter und Maria“ und ist mit seinen 157 Metern die zweithöchste Kirche in Deutschland. An der gotischen Kathedrale haben die Kölner etwas über 600 Jahre gebaut: 1248 begannen die Bauarbeiten, 1880 war das Dombaufest. Im Zweiten Weltkrieg benutzten britische Flieger den Dom als Orientierungspunkt, weswegen er relativ wenig beschädigt wurde. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, die so genannte Domplombe, wurde kürzlich ausgebessert.

VON DIRK ECKERT

Es ist ruhig hier im Kölner Norden. Touristen verirren sich selten in das Wohngebiet zwischen Zoo und Bundesversorgungsamt. Sehenswürdigkeiten würde hier erst recht niemand vermuten. Das „heilige“ Köln mit seinen unzähligen romanischen Kirchen und dem weit sichtbaren Dom (siehe Kästen) ist weit entfernt. Köln ist eine Stadt der Kirchen. Wie in keiner anderen deutschen Stadt finden sich auf engem Raum innerhalb des Verlaufs der mittelalterlichen Stadtmauer zwölf große romanische Stifts- und Klosterkirchen.

St. Engelbert ist ein heimlicher Star. Von weitem ist die katholische Kirche am Riehler Gürtel kaum auszumachen. Ihre Verkleidung aus roten Backsteinen wirkt wie eine Tarnung: Auch andere Häuser in der Umgebung sehen so aus. Erst bei näherem Hinsehen fällt das Gotteshaus auf. Zunächst der alleinstehende Turm, dann, ein paar Meter entfernt, die eigentliche Kirche, etwas erhöht und mit parabelförmigen Außenwänden. „Zitronenpresse“ haben die Kölner die Kirche deswegen getauft.

Im Jahr 1931 erbaut, ist die „Zitronenpresse“ inzwischen eines der berühmtesten Beispiele modernen Kirchenbaus. „St. Engelbert ist Weltniveau“, sagt Cord Machens, Professor für Architektur an der Fachhochschule in Köln. Und für die ehemalige Stadtkonservatorin Hiltrud Kier, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, ist der Zentralbau mit seiner gefalteten Kuppel „der Beginn der modernen Kirche“. Kier lobt vor allem den Innenraum mit seinem „speziellen, fast höhlenartigen Charakter“.

Etwas schummrig ist es in St. Engelbert schon. Die sechs Fenster in luftiger Höhe lassen nur wenig Licht durch ihre blauroten Scheiben. Auch das etwas größere Fenster hinter dem Altar ändert daran nichts. Um den Altar herum, unter der 25 Meter hohen Kuppel mit ihren konkav gebogenen parabelförmigen Wänden, stehen im Kreis Holzbänke. Hier sitzen die Gläubigen. „So wird die Betonung des Gemeinschaftsgefühls schließlich in Architektur umgesetzt“, erläutert die Stadtkonservatorin Kier.

„Zitronenpresse“ haben die Kölner die Kirche im Norden getauft

St. Engelbert ist ganz aus Beton und Stahl gebaut, außen mit Ziegeln verkleidet, innen sind die Wände weiß. Zunächst war das Gebäude nicht unumstritten. Als Architekt Gottfried Böhm 1930 seinen Entwurf präsentierte, kritisierte das Generalvikariat, gewohnt an neugotische und neuromanische Bauten, das geplante Gotteshaus habe „etwas Fremdartiges, das mehr den Geist des Orients als den des Abendlandes zeigt“. Architekt Dominikus Böhm setzte sich aber mit seinem Entwurf durch. Heute ist die katholische Kirche stolz auf seine wegweisende Arbeit. Auch politisch machte St. Engelbert Geschichte. An Sylvester 1946 hielt Kardinal Josef Frings hier seine berühmte Rede, in der er den Kölnern das Stehlen von Lebensmitteln und Kohlen erlaubte. Dieses war nach dem Krieg überlebensnotwendig für viele Menschen. Der legalisierte Klau nennt sich seitdem in Köln „fringsen“.

Was architektonisch in St. Engelbert begonnen hat, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Unter Architekten wie Dominikus Böhm, seinem Sohn Gottfried, Emil Steffann oder Heinz Bienefeld entstanden zahlreiche moderne Kirchen. „Durch die Sakralbautradition hat Köln immer ein Augenmerk gelegt auf modernen Kirchenbau“, sagt Cord Machens. „Die Diözese ist reich und hat Geschmack.“ Gottfried Böhm wurde 1986 sogar – als bislang einziger Deutscher – mit dem renommierten amerikanischen Pritzker-Preis ausgezeichnet, der als Nobelpreis der Architektur gilt.

„In den 50er Jahren ist Gottfried Böhm ein großartiger Einzelgänger“, sagt Machens. Zuletzt machte Böhm durch einen nichtchristlichen modernen Sakralbau von sich reden: Zusammen mit seinem Sohn Paul gewann er 2006 den Architektenwettbewerb für die geplante neue Kölner Zentralmoschee.

In Köln wimmelt es von romanischen Kirchen mit langer Geschichte. St. Maria im Kapitol wurde an genau der Stelle errichtet, an der früher der Kapitolstempel stand – als Köln römische Kolonie war. Oder St. Gereon: Die Kirche geht auf einen römischen Bau des 4. Jahrhunderts zurück. Am Neumarkt steht St. Aposteln. Die Kirche gilt als Hauptwerk rheinischer Romantik. St. Pantaleon hat Berühmtheit dadurch erlangt, dass dort die Gattin von Otto III., Kaiserin Theophanu (ca. 955 bis 991) beigesetzt ist.

Sorgen macht Hiltrud Kier jetzt, dass immer öfter Kirchen geschlossen werden müssen, weil die Gläubigen ausbleiben. „Gerade die Nachkriegskirchen sind bedroht, weil sie von der Bevölkerung noch nicht so angenommen sind“, fürchtet sie. Es dauere eben, bis neuere Bauten akzeptiert würden. Architektonisch würde Köln verlieren, warnt sie: „80 Prozent der Kölner Kirchen, die nach dem Krieg gebaut wurden, sind außerordentlich wertvoll.“ Es gebe in der Tat nur wenig, worauf man verzichten könne.

„Es ist dringend notwendig, für die neueren Kirchen auch entsprechend Werbung zu machen“, sagt Kier deshalb. „Wenn Sie modernen Kirchenbau in dieser Dichte sehen wollen, müssen Sie nach Köln kommen.“ Kölnbesuchern, die nicht viel Zeit haben, aber sich auch moderne Kirchen anschauen wollen, würde sie natürlich St. Engelbert empfehlen, sagt sie. Aber auch St. Josef in Köln-Braunsfeld von Rudolf Schwarz.

Cord Machens rät Besuchern, sich hintereinander die alte romanische Kirche St. Gereon anzuschauen und dann nach St. Engelbert zu fahren – wegen der Kuppeln in beiden Kirchen. „Da sieht man, wie sich Typen halten und wie sie gebaut werden.“ In St. Engelbert ist der Gottesdienst am Sonntagmorgen übrigens gut besucht. Zu Dutzenden beten die Gläubigen ihr „Herr, erbarme Dich unser“. Um diese Kirche muss sich Kier also wohl keine Sorgen machen. Macht sie auch nicht. Durch Kardinal Frings sei diese Kirche sowieso „geadelt“, lacht sie.