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: Mut zur Lücke

MESSIAS Brasiliens Spielidee ist schnell beschrieben: Superfußballerin Marta soll’s ganz alleine richten. Der Rest ist mau

Brasiliens Spielansatz ist schnell beschrieben: Sie hoffen – auf ein gutes Spiel von Marta. Es ist nichts anderes als eine Heilserwartung, die sie mit ihr verbinden. Brasilien spielt, wenn man so will, eschatologischen Fußball: Irgendwann kommt der Messias und wird es schon richten. Kickt Marta gut wie zuletzt gegen Norwegen, gewinnt Brasilien deutlich. Ist Marta eher schlecht drauf, muss Brasilien um den Sieg bangen.

Alles Hoffen, alles Bangen richtet sich auf die mehrmalige Weltfußballerin, die ihren Gegnerinnen an guten Tagen um Längen voraus ist. Ihre Technik ist filigran. Der Schuss stramm. Sämtliche Sprintduelle gegen die Skandinavierinnen gewann Marta am Montagabend locker und leicht. So weit, so gut. Aber was kommt nach Marta? Was hat Brasilien noch vorzuweisen? Zuerst einmal eine taktische Ausrichtung, die aus der Mottenkiste des Fußballs stammt.

Trainer Kleiton Lima ließ auch gegen Norwegen mit Libero – oder muss es heißen: Libera – spielen. Mit Erika und Aline bildete Libero Daiane eine Formation, die als bananenartig verkrümmte Dreierkette durchgehen könnte. Lima rechtfertigte die Aufstellung damit, dass er zu wenig „echte“ Abwehrspielerinnen habe und zu viele „kreative“ Mittelfeldspielerinnen.

Daiane interpretierte die Rolle des defensiven Freigeistes sehr eigenwillig. Mitunter stand sie zwanzig, dreißig Meter hinter der eigentlichen Abwehr, die wiederum stark auf Manndeckung respektive Fraudeckung setzte. Das führte dazu, dass wohl nur Coach Lima eine Ordnung im Zuordnungschaos seiner Defensive entdeckte. Es ist praktisch unmöglich, gegen diese Abwehr ins Abseits zu laufen, was Norwegen clever mit zwei Außenstürmerinnen hätte ausnutzen können. Aber deren Trainerin Eli Landsem ließ nur mit einer zentralen Spitze spielen. Ein 4-3-3-System wäre das Mittel der Wahl gewesen. Norwegen aber lief im 4-2-3-1 auf. Das brachte nicht viel.

Wie sehr Brasilien auf Marta vertraut, sah man auch dann, wenn von Abwehr auf Angriff umgeschaltet wurde. Die Elf Brasiliens pfeift ja meistens darauf aufzurücken, sondern füttert die Spitzen lieber mit langen (spekulativen) Pässen. Zwischen Libero und Marta taten sich dann schon mal 80 Meter auf, während es bei den Norwegerinnen in einer vergleichbaren Situation nie mehr als 50, 60 Meter waren. So spielt vielleicht ein Kreisligist, aber kein Titelfavorit bei einer Frauen-WM.

Das heißt: Im brasilianischen Spiel tun sich durchaus Lücken und Räume auf. Die Südamerikanerinnen stehen nicht kompakt genug. Norwegen konnte das aber nicht nutzen: Zu verzagt waren sie, zu langsam, zu schussschwach. Die Pässe wurden zu schludrig gespielt. Was blieb also von diesem Spiel? Marta, Marta, Marta. Ihre zwei Tore und ihre eine Torvorbereitung. Brasiliens Hoffnungen hatten sich erfüllt. „Unsere Mannschaft kann sich zum Glück auf Marta verlassen, Gott sei Dank“, frohlockte Trainer Kleiton Lima. Aber immer klappt das sicher nicht. MARKUS VÖLKER