DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Überall Guerillas!

WAS SAGT UNS DAS? Im italienischen Susatal ist angeblich der Bürgerkrieg ausgebrochen

Die Bilanz der Polizei ist bescheiden: Es gab nur fünf Festnahmen

Bei dem Versuch, auf die Baustelle des Hochgeschwindigkeitszuges TAV im norditalienischen Susatal vorzudringen, wurden am Sonntag 200 Polizisten und mindestens 223 Demonstranten verletzt. Politiker, Medien und Polizei waren sich daraufhin weitgehend einig: Dutzende von Autonomen, sogenannte Black Bloc, hätten die friedliche Kundgebung in einen Krieg gegen das System umfunktioniert. Helme, Gasmasken und Schilde seien Standard gewesen, schreibt die Berlusconi-Zeitung Il Giornale, und sogar La Repubblica spricht von „altertümlichen Schleudern, wie sie der biblische David und später die Intifada benutzten“.

Von 800 Anarchos ist die Rede, darunter 300 Spanier, Deutsche, Österreicher und Franzosen. Schuld an dem ganzen Schlamassel soll Alberto Perino sein, Sprecher der NO TAV (siehe taz vom Wochenende), weil der den Kampf gegen den Schnellzug mit dem der Partisanen verglichen habe. Die Antwort der Bewegung ist nüchtern: „Deutsche und Spanier haben nur die Polizisten gesehen – wohl von ihren Hubschraubern aus. Die Demonstration vom Sonntag war ein Erfolg der Bewohner des Tals, nicht irgendwelcher herbeifantasierter Revoluzzer.“ Die Bilanz der Polizei ist denn auch recht bescheiden: Ein Mechaniker, ein Umzugshelfer, ein Schüler, den eine Tränengasgranate ins Gesicht traf, und eine Studentin wurden festgenommen – von den Superautonomen keine Spur.

Aber die Meinungsschlacht um die Form der Proteste im Valdisusa hat schon längst die Inhalte verdrängt. Den Bürgern des Tals geht es darum, ein öffentliches Gut zu verteidigen. Auf den Vorwurf, eine Grenze überschritten zu haben, antworten sie, dass Legalität nicht von oben nach unten funktioniere, sondern umgekehrt: Das Gesetz müsse die Interessen der einfachen Bürger schützen, nicht die der Mächtigen. Und deswegen hören sie auch nicht auf: Schon haben sich wieder 70.000 Menschen im Tal versammelt, während oben in den Wäldern der Guerillakrieg weitergeht – jedenfalls der mediale. RICCARDO VALSECCHI

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