Die Wiegen der Klubkultur

ABSCHLUSSKONZERT Das interkulturelle Projekt „Ten Cities“ feiert am Wochenende in der Ritter Butzke das Ergebnis einer spannenden musikalischen Zusammenarbeit zwischen fünf afrikanischen und fünf europäischen Städten

Europa hat den Ruf, avancierte Clubmusik hervorzubringen, von Deep House über Techno bis Dubstep. Afrikanische Musikstile haben wiederum die westliche Elektro-Szene sehr beeinflusst. Gerade Großstädte in Afrika sind vibrierende Clubkultur-Städte. Wie klingt es, wenn Musik aus Neapel auf Nairobi trifft? Mit „Ten Cities“ sind um die 50 DJs, Produzenten und Instrumentalisten aus je fünf Städten in Afrika und Europa zusammengekommen, um gemeinsam Musik zu produzieren, die am Freitag in einem Abschlusskonzert erstmals im großen Kreis im Ritter Butzke aufeinandertreffen. Das Konzert ist gleichzeitig Release Party des gleichnamigen Albums „Ten Cities“, das beim britischen Label Soundway Records erscheint.

■ Abschlusskonzert „Ten Cities“: Ritter Butzke, Ritterstraße 26, 7. 11., 23 Uhr, 12 Euro

VON JANTO RÖSSNER

Mittlerweile gibt es sowohl in der darstellenden als auch in der bildenden Kunst eine Menge interkultureller Kooperationen zwischen Afrika und Europa. Viele dieser Kooperationen allerdings versumpfen in naiven Umsetzungen, geprägt von Gutmenschentum, mangelnder Reflexion, einem kulturellen Überlegenheitsgefühl seitens der Europäer und vor allem einer daraus resultierenden scheinbaren Selbstverständlichkeit: Afrika hat die Wurzeln, Europa die Hochkultur. Dieser Gedanke impliziert eine afrikanische Unfähigkeit zur kulturellen Innovation und scheint zumindest in Deutschland auch heute noch vielerorts ein Naturgesetz zu sein.

Umso mehr ist ein Projekt wie „Ten Cities“ zu begrüßen. Die Kooperation zwischen Goethe-Institut und der interkulturellen Plattform Adaptr.org brachte nicht nur mehr als fünfzig DJs, Produzenten und Musiker aus fünf europäischen und afrikanischen Städten zusammen, sondern beleuchtet auch jeweils deren Hintergründe in Form von gut recherchierten Texten. Zwei Autoren pro Stadt beschreiben mit Ortskenntnis das Nachtleben, die legale und illegale Nutzung öffentlicher Räume und subkulturelle Gegenöffentlichkeiten rund um das global vereinende Phänomen urbaner Clubmusik.

Nairobi und Luanda, Lagos, Kairo, Johannesburg, Kiew, Bristol, Lissabon, Neapel und Berlin haben dem Projekt jede Menge unterschiedlichste Klangfarben und inspirierende Vielstimmigkeit verliehen. In jeder der Städte wurden örtlich vernetzte Kuratoren bestimmt, welche die teilnehmenden lokalen Künstler auswählten und mit den Musikern vom jeweils anderen Kontinent zusammenbrachten. Die Essenz der vielfältigen musikalischen Zusammenarbeiten wurde nun auf eine Platte gepresst, welche einen akustischen Eindruck von Gemeinsamkeiten und Differenzen innerhalb eines derartigen Projektes erlaubt. Die vertretenen Städte und ihr Sound vermitteln und festigen mit ihrer Qualität, ergänzt durch die Autorenrecherchen, die kulturelle Relevanz ihrer Akteure auf einem globalen Level.

„Ten Cities“ fordert aber neben einem guten Musikgeschmack auch die Fähigkeit zu transparenter Reflexion. Aufgrund seiner Größe und des interkulturellen Ansatzes hinterfragt das Projekt automatisch die kulturelle Selbstwahrnehmung und Prioritätensetzung in den jeweiligen Ländern.

So traf in Kairo Mahmoud Refat, Begründer des avantgardistischen Labels 100Copies, Mitglied der Band Bikya und „Ten Cities“-Kurator in der ägyptischen Hauptstadt, auf seine größte Ikone. Carsten Nikolai, auch bekannt unter dem Namen alva noto, ist ein weltbekannter deutscher Künstler, geboren in Karl-Marx-Stadt, der mit seiner Arbeit versucht, die Grenzen zwischen den Kunstformen aufzuheben. „Ich schaue zu diesem Mann auf, seit ich dreizehn bin,“ sagt Refat, „und nun hatte ich die Ehre, mit ihm in meinem Studio zu arbeiten.“ Im Hinblick auf die anderen afrikanischen Teilnehmer des Projekts kenne er sich nicht so gut aus. Er könne aber hören, dass es sich meist um europäische DJs und afrikanische MCs handele und dass es seinem Empfinden nach nicht zur musikalischen Verschmelzung wie in Ägypten gekommen wäre. „Von afrikanischer Musik verstehe ich leider nicht so viel“, antwortet er auf die Frage nach dem Grund für dieses Phänomen. Er scheint sich nicht für einen Afrikaner zu halten. Die Arbeit mit Nicolai jedenfalls hatte einen rein künstlerischen Aspekt, während die von Hannes und Andi Teichmann beschriebenen Kollaborationen in wirtschaftlich aufstrebenden Staaten wie Angola und Südafrika oft mit stark kommerziellen Ansprüchen verbunden waren. Die Berliner Kulturaktivisten, Musiker und Brüder sind beide musikalisch und organisatorisch maßgeblich am Projekt „Ten Cities“ beteiligt. Hannes war als Kurator in Johannesburg und arbeitete dort mit dem Duo Dirty Paraffin und den ukrainischen DJs Vakula und Dubmasta zusammen. Die beiden hatten vorher noch nie afrikanischen Boden betreten.

Das Projekt hinterfragt automatisch die kulturelle Selbstwahrnehmung

„Trotz eines tollen Prozesses ist es nie so richtig dazu gekommen, dass wir in Johannesburg eine Gemeinschaft wurden.“ Das habe Gründe wie zum Beispiel die Sprachbarrieren, meint Hannes Teichmann. Aber auch die Sichtweisen unterscheiden sich. „In Südafrika werden viele Werbedeals mit Firmen wie Nike oder Adidas gemacht“, sagt Hannes, „es geht viel mehr um Geld als um diesen ideologischen Ansatz bei einem solchen Projekt.“

In Nairobi wiederum war Bill Sellanga, Kurator und Mitglied der Gruppe „Just a Band“, durchweg begeistert von der Zusammenarbeit mit dem deutschen Produzenten Oren Gerlitz sowie Octa Push und Batida aus Lissabon. Zwar wünscht auch er sich eine eigenständige afrikanische Kulturindustrie, die solche Projekte eines Tages auch einmal von Afrika aus initiieren könnte, ist aber überglücklich über das Ergebnis. „Solange sich unsere Regierungen nur um Technik, Wirtschaft und Elitenbildung kümmern, solange freue ich mich über Menschen, die solche Projekte möglich machen.“

In erster Linie geht es bei Ten Cities um Musik, genauer um Clubmusik, um die Freude an ihr, ums Tanzen und um Gemeinschaftlichkeit. Jedoch steckt in diesem Projekt noch viel mehr. Ein Potenzial zu echter kultureller Diskussion, zu tiefer greifender Auseinandersetzung und zu einer wahrhaftigen Aussprache im Rahmen von guter Musik und großartiger Performance.