Wir sind Menschen, keine Monster

HINTER GITTERN Am Grab von Heiner Müller kamen sie zum ersten Mal zusammen: Theatermacher, die in Berlin und Santiago de Chile im Gefängnis arbeiten. Jetzt treffen sie sich hier zum zweiten Teil eines Symposiums

Das Theater kann noch weitergehen und fest gefügte Körperpraktiken aufbrechen

VON TOM MUSTROPH

Knasttheater ist überall anders – und oft auch überraschend gleich. Diese Erfahrung lässt sich beim Symposium „Kunst und Knast“ machen, zu dem das Institut Cervantes vom 6. bis 10. Juli einlädt. Das Treffen bildet den Abschluss eines ambitionierten Doppelprojekts zwischen Santiago de Chile und Berlin. Beim Auftakt im Dezember 2010 in Chile arbeitete der Berliner Regisseur Peter Atanassow mit chilenischen Gefangenen, im Juli 2011 führte seine damalige Gastgeberin Jacqueline Roumeau Gefangene der sächsischen JVA Zeithain zur Premiere ihres Stücks „Terror im Pazifik“.

Beider Erfahrungen mit dem Gefängnisalltag im Lande des anderen, aber auch von Kollegen aus weiteren sieben europäischen und drei lateinamerikanischen Ländern stehen im Mittelpunkt des viertägigen Symposiums. Es beginnt am Donnerstag im Kino Babylon mit der Vorführung des Films „El patio de mi cárcel“ von Belén Macías über ein Theaterprojekt in einem Madrider Frauenknast.

Über den Atlantik

An dem den Atlantik überwindenden Festivalprojekt hatte sogar Heiner Müller seinen Anteil. Am Grabe des Dramatikers trafen sich Mitglieder der Berliner Gefängnistheatergruppe aufBruch und die Regisseurin und Leiterin der Künstlerkorporation für Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung durch Kunst (CoArtRe) aus Santiago, Jacqueline Roumeau. „Wir waren überrascht, dass Jacqueline Roumeau in Chile seit über zehn Jahren Gefängnistheater macht. In den folgenden Gesprächen wurde die Idee geboren, dass aufBruch eine Arbeit in einem chilenischen Gefängnis realisieren könnte. Gleichzeitig kamen wir auf die Idee des Symposiums, um mehr über die Realität von Gefängnistheater in Lateinamerika zu erfahren und die Position für Gefangenentheater an sich zu stärken“, erzählt der Bühnenbildner und Mitbegründer von aufBruch, Holger Syrbe. Zudem will sich das Symposium mit der Überschneidung von ästhetischer, politischer und sozialpädagogischer Praxis befassen.

Als Ergebnis war in Santiago im Dezember Atanassows „Vamos al Oro!“ (Auf zum Gold!), eine Montage aus Elementen von Bertolt Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, Pablo Nerudas „Glanz und Tod des Joaquín Murieta“ und dem Tagebuch von Che Guevara zu sehen. Im Rahmen des Berliner Teils wird für den Samstag ein Besuch zu Roumeaus Inszenierung von „Terror im Pazifik“ in der JVA Zeithain organisiert. Das Stück beruht auf der Geschichte des während des Ersten Weltkriegs in südamerikanischen Gewässern umherirrenden deutschen Kreuzers „Dresden“.

So verschieden die Ausgangsbedingungen waren – Atanassow probte im Gefängnis Colina 1 in einer durchlöcherten Lagerhalle, die den Charme aufgegebener Industrieanlagen aufwies, während Roumeau ihren „Terror im Pazifik“ in einer schnieken Turnhalle vorbereiten konnte – auf die beteiligten Schauspieler hat die Arbeit ähnliche Effekte. In ihnen wird vor allem der Stolz auf etwas gemeinsam Geschaffenes geweckt.

Botschaft nach draußen

„Wir haben gemeinsam in diesen Wochen etwas geleistet, von dem wir vorher nicht wussten, dass wir dazu in der Lage sein würden. Wir senden damit zugleich eine Botschaft an die Leute draußen: Wir sind Menschen, ganz normale Menschen, und keine Monster“, erklärten tausende Kilometer voneinander entfernt und ohne Wissen um die Existenz der jeweils anderen chilenische und deutsche Gefangene.

Dass Theater noch weiter gehen und fest eingeprägte Körperpraktiken aufbrechen kann, wird der argentinische Soziologe Cesar Planes in die Debatte einbringen. Planes organisiert die Gefängnisuniversität UBA XXII in Buenos Aires. Die ist an sich schon eine autonome Einrichtung inmitten eines Gefängniskomplexes und darf nur von Studenten und Dozenten, nicht aber von Wärtern betreten werden. Als Planes bemerkte, dass sich auch die Kommunikationsmuster des Gefängnisses – gebeugte Haltung, hierarchisches Verhalten – wiederholten, brach er sie mithilfe von Theatertechniken zur Erfahrung des Körpers, zum Gleichgewicht und zur Bewegung im Raum auf. Mittlerweile sind laut Planes „aus Gefangenen, die studieren, in sich aber die Beschränkungen des Gefängnisses mittragen, Studenten geworden, die lediglich für eine gewisse Zeit eingesperrt sind“.

■ „Knast & Theater“, 6.–10. Juli, Programm unter www.symposium.gefaengnistheater.de