„Gewaltbegriff inflationär gebraucht“

Durch den Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga ist das angespannte Verhältnis zwischen Eintracht Braunschweig und seinen Fans nicht besser geworden. Nun soll ein Fanprojekt Abhilfe schaffen, an dem der Club sich nicht beteiligt

KARSTEN KÖNIG, 47, Sozialpädagoge und Wirtschaftsreferent, leitet das Fanprojekt bei Eintracht Braunschweig.

Herr König, bei der Eintracht wird derzeit um ein Löwen-Maskottchen gestritten, das die Clubführung bei Heimspielen auflaufen lassen möchte. Was genau ist das Problem?

Karsten König: Die Geschichte ist lang und hat schon vor der Saison begonnen, als der Verein neue Trikots präsentierte, die jegliches Traditionsbewusstsein vermissen ließen. Das gab einen Aufschrei bei den Fans. Die Clubführung sah sich dazu gezwungen, mit den Trikots der Vorsaison zu spielen. Im Zuge dieses Streites hat unser Präsident Gerhard Glogowski versichert, künftig bei solchen Entscheidungen vorher die Fans zu befragen. Nur ein paar Monate später präsentiert der Verein dann ein Maskottchen, das niemand aus der Fankurve haben will. Eine Rücksprache gab es wieder nicht. In Zeiten des sportlichen Misserfolgs ist das fürs Klima natürlich nicht förderlich.

Fehlt es der Geschäftsführung da an emotionaler Bindung zum Club?

Ach, Herr Glogowski hängt auch mit Herzblut am Verein, das nimmt ihm jeder ab. Das Problem ist, dass es in Braunschweig jahrelang keine professionelle Fanarbeit gab. Oftmals wurden Zusagen an die Fans gemacht, die später nicht eingehalten wurden. Das hat die Fans verstimmt.

In Braunschweig ist, auch seitens der Clubführung, immer wieder von gewalttätigen Anhängern die Rede. Ältere Fans sagen aber, das sei kein Vergleich zu früher. Wie erklärt sich die Diskrepanz?

Der Gewaltbegriff wird heute inflationär gebraucht. Bengalische Feuer und Rauchpulver zählen auch dazu. Das mag zwar nicht erlaubt sein, aber mit Gewalt hat das wenig zu tun. Schlägereien habe ich bei Heimspielen schon lange nicht mehr gesehen. Bei Auswärtsspielen kam es hingegen vor, dass Eintracht-Fans marodierend durch die Innenstädte zogen. Das gibt es bei anderen Vereinen auch. Ebenso, dass in der Kurve immer mal wieder rechte Provokationen gerufen werden. Vor allem von Jugendlichen. Das ist rassistisch. Ich will das nicht verharmlosen, aber gefährlich wird es, wenn diese Provokationen gesteuert werden. Darüber gibt es jedoch keine Erkenntnisse.

In Braunschweig entsteht zurzeit ein Fanprojekt, das unabhängig vom Verein zu je einem Drittel vom Land Niedersachsen, der Stadt Braunschweig und dem Deutschen Fußball Bund (DFB) finanziert wird. Was kann ein Fanprojekt angesichts der angespannten Atmosphäre bewirken?

Wichtig ist, dass wir miteinander ins Gespräch kommen und regelmäßig und strukturiert über Probleme diskutieren. Als Gremium dafür wird es im Fanprojekt einen Beirat geben, in dem neben gewählten Fanvertretern auch Vertreter von Polizei und verschiedenen sozialen Trägern anwesend sind. Darüber hinaus sind Veranstaltungen und Workshops geplant, die Themen aus dem Vereinsumfeld aufgreifen und zur Sprache bringen. Machbar ist vielleicht auch ein Fanmagazin, das vor den Spielen in der Kurve verteilt wird.

Zuletzt hieß es, dass das Fanprojekt im Kampf gegen die schwarzen Schafe innerhalb der Fanszene Abhilfe schaffen soll. Kann es das?

Wir können und wollen kein verlängerter Arm der Polizei sein, noch mit dem erhobenen Zeigefinger agieren. Das macht keinen Sinn. Es geht vielmehr darum, das Vertrauen aus einer dauerhaften Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen zu fördern. Langfristig hilft das, Gewalttaten vorzubeugen. Das zeigt die Erfahrung in anderen Städten.

Die Eintracht wird wieder drittklassig, und auch der 1. FC Magdeburg hat den Sprung in die Zweite Liga haarscharf verpasst. Freuen Sie sich schon auf das neue Derby?

Ja, unser Verhältnis zu Magdeburger Fans ist freundschaftlich, im Gegensatz zu den Hannoveranern. Und im Vergleich zu Wolfsburg hat Magdeburg eine große Tradition. Das wird sicher ein schönes Derby.INTERVIEW: STEFAN OTTO