die taz vor zehn jahren über den ersten „postmodernen coup“ in der türkei
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Einst schmiedeten türkische Generäle klammheimlich Putschpläne. All das ist lange her. Die türkischen Generäle werden wohl als Fallbeispiel die politische Literatur beschäftigen. Sie führen heute den Kampf gegen die Islamisten unter Ministerpräsident Necmettin Erbakan mit politischen Mitteln, die den westlichen Demokratien entlehnt sind. Mit PR-Stab, mit Werbekampagnen, Öffentlichkeits- und Medienarbeit ziehen sie in die Schlacht. Zu Journalisten ist man ausgesprochen freundlich. Jüngstes Beispiel: Richter und Staatsanwälte lädt man zum Informationsabend über die Gefahren religiösen Extremismus ein. Als der islamistische Justizminister den Justizbeamten die Teilnahme untersagte, konnte man gelassen über die „Unabhängigkeit der Justiz“ fabulieren. Ist es denn etwas Böses, wenn ein Staatsanwalt zum Cocktail im Generalstab geht?

Die türkischen Generäle, die ihrem Selbstverständnis nach dem säkularen Staat des Republikgründers Atatürk verpflichtet sind, agieren nicht ohne Erfolg wie ein politischer Verband, ja wie eine politische Partei, die es ihren Mitgliedern und Sympathisanten recht macht. Das Unheil, das das Gespann Erbakan/ Çiller in der Regierung anrichtete, verschafft den Generälen ein leichtes Spiel. Viele Türken empfinden den islamischen Extremismus als Gefahr und klatschen den Militärs Beifall.

Ein gefährliches Spiel geht da vonstatten. Nicht die politische Opposition im Parlament, sondern die Militärs erscheinen als politische Alternative. Vergessen, daß die verordnete Entpolitisierung nach dem Militärputsch 1980, die repressive Militärdiktatur und die folgende Militärdemokratie erst den Aufstieg der islamistischen Bewegung möglich gemacht haben. Mit dem Faustpfand des staatlichen Gewaltmonopols in der Westentasche ist es für einen Uniformierten schon skurril, Oppositionspolitiker spielen zu wollen. Ömer Erzeren in der taz vom 12. 6. 1997