Der Rüpel ganz höflich

Jungs finden ihn „cool“, Mädchen „sexy“. Eltern und Politiker wünschten, es gäbe ihn nicht: Kaum jemand in Deutschland hat mit gereimten Verunglimpfungen so viel Erfolg wie der Berliner Rapper Bushido. Am Sonntag trat er im Hamburger Stadtpark auf

Schwer liegt die Luft über dem Hamburger Stadtpark. Trägheit macht sich breit, bis pünktlich um 18.30 Uhr ein mächtiger Bass die Ruhe beendet: „Skandalrapper“ Bushido ist da. Aufgeregt pilgern die letzten Jugendlichen zum Eingang der Freilichtbühne. Die Schirme ihrer Baseballkappen zeigen in alle Himmelsrichtungen. Falsche Klunker, groß wie Fingernägel, blitzen an den Ohrläppchen männlicher Besucher. Zum richtigen Outfit gehören außerdem: verspiegelte Sonnenbrillen und Feinripp-Unterhemden. Die Bekleidung der weiblichen Anwesenden ist gerne weiß oder pink und grundsätzlich zu kurz geschnitten – sonst hätten sich Nabelpiercing und/oder Arschgeweih ja nicht gelohnt.

Wenn es nach Stefanie Strasburger gegangen wäre, gäbe es hier und heute keinen Karneval der sonderbaren Stilblüten: Die jugendpolitische Sprecherin der Hamburger CDU wollte das Rap-Konzert verbieten lassen. Denn vier Alben von Bushido stehen auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Die Texte einzelner Lieder – so die Begründung – verherrlichen Gewalt, sind frauen- oder schwulenfeindlich. Wer die Tonträger erwerben will, muss volljährig sein, für einzelne Songs herrscht ein Aufführungsverbot. Minderjährige dürfen ein Bushido-Konzert nur mit dem Einverständnis der Eltern besuchen, wer jünger ist als 16, nur in Begleitung von Vater oder Mutter. Da keine Verstöße gegen diese Auflagen bekannt sind, ist ein Verbot kaum durchzusetzen – und Vorstöße wie der von Strasburger sind vor allem eines: Wasser auf die Mühlen eines Bushido. Denn der „Rüpel-Rapper“ lebt davon, dass er Tabus bricht und Gefühle verletzt. Und er lebt sehr gut davon.

Umgeben vom akustischen Kanonenfeuer sitzt Heike Vogel draußen vor dem Eingang der Freilichtbühne auf einem Klappstuhl. „Ich find’ es schrecklich“, sagt sie, „aber die hören das eben gerne.“ Auf einer Decke sitzen ihre Töchter Saskia und Denise, beide zwölf Jahre alt, bei Chips und Spezi. Die Texte seien schlimm, sagt Heike Vogel. Und dass sie Bushido trotzdem irgendwie dankbar sei: „Er spricht eben sehr drastisch aus, was in der Welt vieler Jugendlicher los ist.“ So wäre es Eltern möglich, mit ihren Kindern darüber zu sprechen. 31,80 Euro pro Ticket wollte sie heute zwar nicht berappen. Aber Saskia und Denis dürfen wenigstens in der Nähe sein, wenn ihr Held auftritt. Sie selbst sitzt daneben und liest demonstrativ „Der kleine Hobbit“.

Der grüne Kessel Freilichtbühne ist gut gefüllt. Die vielen anwesenden Eltern ziehen den Altersschnitt – vielleicht – auf 18 hoch. Die Haare kurz geschoren, an Armen und Hals tätowiert, tritt Bushido auf die Bühne und legt los. Einige Textpassagen enthalten in der Tat Kraftausdrücke, die ihresgleichen suchen. Keiner dieser Songs ist auf dem Index. Und doch bleibt dem ungeübten Hörer einigen Texten nur sprachloses Kopfschütteln. Zu vordergründig die Botschaft, zu grenzüberschreitend die Verunglimpfungen. Voller Hingabe singt das Meer der Minderjährigen das Unaussprechliche mit. Ein Wald aus Armen wächst aus den Wogen, streckt Mobiltelefone in die Höhe und nimmt Filmchen auf von dem kleinen Mann mit der großen Klappe.

Und der hat sein Publikum im Griff. Teilt es in weibliche und männliche Fans und lässt die Gruppen um die Wette jubeln. Oder fordert sie auf, noch lauter zu schreien, wollten sie es mit den Berliner Fans aufnehmen. Und alle schreien. Der Rapper mit dem langen Vorstrafenregister weiß, wer seine Hörer sind, spricht sie immer wieder an: „Wer von Euch schwänzt morgen die Schule? Wer ist verliebt?“

Ein bisschen kommt man sich vor wie bei Dr. Sommer. Und auf einmal ist nichts mehr von dem da, was Politiker und Eltern auf die Barrikaden treibt. Bushido gibt den Spaßvogel, etwas großkotzig, aber charismatisch. Etwas tumb, aber nicht gänzlich unsympathisch. Auf diese Weise behält er die Deutungshoheit über seine Texte, falls Politiker wie Strasburger kommen und sie ihm entreißen wollen. Denn Bushido will noch ein bisschen verweilen in dem schmalen Korridor zwischen Skandalen und Popgeschäft, dieser lukrativen Nische.

Nach fast drei Stunden ist das Konzert zu Ende. Bushido bedankt sich höflich. Den Erwachsenen, die ihre Kinder begleitet haben, teilt er mit, dass seine Schwester so was übrigens nicht sehen dürfte. MATHIAS BECKER