Der Blues des Sahel-Lands

Die nigerianischen Tuareg und Woodabe sind Nachbarn und liegen immer wieder im Streit. Im Kesselhaus sind heute Etran Finatawa zu hören, Musiker aus beiden Völkern, die polyfone Chöre mit trabenden Rhythmen verbinden

Der Sahel-Blues steht in Europa hoch im Kurs. Tuareg-Rocker führen die World Music Charts an, Ali Farka Touré wird posthum gefeiert, das „Festival Au Désert“ bei Timbuktu avanciert seit Jahren zum Mekka für ausländische Musikfans. Auch Etran Finatawa profitieren von diesem Hype, und trotzdem ist bei ihnen einiges anders: Sie kommen aus dem Niger – fürs Weltmusikpublikum eher ein weißer Fleck – und ihr Sound speist sich aus zwei ganz unterschiedlichen Wurzeln. „Als wir die Gruppe gegründet haben, hatte das einen hohen Symbolcharakter. Die Zeiten im Niger sind hart, und da sind zwei Völker, die sich das gleiche Gebiet und die gleichen Probleme wie Hungersnot und Entwurzelung teilen. Wir wollten zeigen, dass man gerade in dieser Situation im wahrsten Sinne des Wortes Mehrstimmigkeit erzeugen muss“, sagt Sandra van Edig.

Als Entwicklungshelferin kam van Edig in den Niger, dann berichtete sie als freie Journalistin über das auch heute noch eher unbeachtete Sahel-Land. Schließlich landete sie bei der Musik, betreute sowohl eine Tuaregband als auch ein Ensemble der Wodaabe-Nomaden. Mit beiden wurde sie 2004 zum Festival Au Désert eingeladen. „Und dann dachte ich mir, wenn wir jetzt schon zusammen reisen und dort auftreten, warum sollte man nicht etwas Gemeinsames auf der Bühne versuchen?“ Das improvisierte Teamwork wurde vom Publikum in den Dünen Malis so enthusiastisch begrüßt, dass ein nachhaltiges Miteinander aus dem ersten Treffen erwuchs. Ziemlich erstaunlich, schaut man sich die Historie der beiden in der Band vertretenen Parteien an: Zwar lebten Tuareg und Woodabe seit Menschengedenken nachbarschaftlich zusammen, doch es ging nie ohne Reibereien ab: Banditentum und Viehraub waren gang und gäbe, verschlimmerten sich im Zuge der Ressourcenverknappung.

Die Tuareg stammen von den Berbern ab, können sich mit ihren Kamelen an wüstenartige Bedingungen adaptieren, die Woodabe hingegen pflegen als Kuhhirten eine seit Jahrtausenden unveränderte Lebensweise und sind auf den Sahelstreifen angewiesen. Sie gehören zur großen Peul-Familie. Die Sprachen Tamashek und Fulfulbe sind komplett verschieden, genauso die Musik: Während sich die Tuareg mit E-Gitarren schon lange an westlichen Bluesrock angelehnt haben, waren die Wodaabe Chorsänger ohne Instrumente.

Etran Finatawa bedeutet „Sterne der Tradition“, und es scheint, als würden ihre verschiedenen Sterne sich zu neuen Konstellationen fügen: Die polyfonen, sehr nasalen Gesänge der Peul und die bluesigen Skalen und trabenden Rhythmen der Tuareg. In den Texten über die Erhabenheit der Landschaft, den Preis von Frauen treffen sie sich. Gebündelt hat all das der kreative Kopf der Gruppe, Galithane Khamidoune. Er achtete darauf, dass das Ergebnis kein Mischmasch wurde, sondern jede Partei mit ihrer Farbe deutlich zur Geltung kommt. Zunächst bearbeitete man nur traditionelles Liedgut, aktuell kommen auch völlig neu komponierte Lieder hinzu, vor allem für die Wodaabe eine frische Erfahrung. „Uns ist es wichtig, dass diese Kulturen nicht zur musealen, folkloristischen Show verkommen. Man kann kreativ damit arbeiten und sich nicht nur in Touristenrestaurants präsentieren.“

Diese Initiative ist umso wichtiger, da der Niger – im Gegensatz zum Nachbarland Mali – nicht gerade mit Unterstützung für seine kulturellen Schätze glänzt. Jahrzehntelang, so van Edigs Erfahrung, haben sich die Funktionäre der Kulturbehörden persönlich bereichert, anstatt die Musik als Exportgut zu nutzen. Das haben Etran Finatawa nun im Alleingang geschafft, und ihr Erfolg wirkt auf die Heimat zurück. „Die Jugendlichen nehmen wahr, wie beliebt die Gruppe im Ausland ist, und die Stimmung verändert sich. Sogar viele alte Nomaden finden es toll, dass Wodaabe und Tuareg zusammen auf die Bühne gehen.“ STEFAN FRANZEN

Etran Finatawa sind um 21 Uhr live im Kesselhaus Potsdam zu hören