Wenn Räuber zu Rittern werden

Gefangene der Haftanstalt Tegel proben für ihr Theaterstück – eine Mischung aus Schillers „Die Räuber“ und Goethes „Götz von Berlichingen“. Für die Schauspieler eine völlig neue Erfahrung – jenseits des monotonen Knastalltags. Morgen ist Premiere

VON STEFAN OTTO

Normalerweise verbringen die Häftlinge auf dem Gefängnishof ihre Freistunden. Eingezäunt und bewacht, im Schatten der vierstöckigen Backsteinbauten mit vergitterten Fenstern. Doch einmal im Jahr wird der monotone Knastalltag durchbrochen. Dann mausert sich dieser triste Ort zum Theaterspielplatz und bekommt eine Bühne, die in den anstaltseigenen Werkstätten gebaut wird. Diesmal ist sie ein mit Blech verkleidetes Ungetüm, das eine Ritterburg darstellt.

In dem Stück „Räuber.Götz“ schrubben ein Dutzend Männer den Boden vor dem Burgtor, kniend mit freiem Oberkörper und Armeehosen. Die Stimmung ist gereizt. Es gibt Streit, der sich zur Schlägerei ausweitet. Die Schauspieler sind allesamt Gefangene, die ihre Haftzeit in der Tegeler Anstalt verbüßen. Sieben Wochen lang haben sie für das Stück geprobt, frei nach Goethes „Götz von Berlichingen“ mit Einflüssen von Schillers „Die Räuber“. Regie führt Peter Atanassow vom Gefangenentheater „aufBruch“.

Morgen ist es für das Ensemble endlich so weit. Dann öffnen sich die Gefängnismauern und 200 Zuschauer von draußen kommen zur Premiere. „Das Besondere am Theater hinter Gittern ist die Kraft, die bei den Gefangenen brachliegt, weil sie eingesperrt und isoliert sind“, erklärt Sibylle Arndt, Produktionsleiterin der Inszenierung. „Wenn es uns gelingt, dieses Potenzial zu wecken, dann erhält das Stück einen besonderen Ausdruck.“

Nirgendwo passt wohl Heiner Müllers berühmter Satz „Die Biographie füllt die Rolle“ so gut wie zum Gefangenenensemble, das die Lebensgeschichte eines Raubritters auf dem absteigenden Ast aufführt. Die Geschichte aus dem 16. Jahrhundert erzählt, wie Ritter zu Räubern und Kriminellen werden.

Wohltuend durchbricht die Umgangssprache der Häftlinge bisweilen das kunstvolle Theaterdeutsch. Für eine Szene tritt Paul W. aus dem Schatten seiner Ritterrolle. Wenn auf der Bühne die Armeestiefel beginnen zu trampeln, dann ist das sein Beat, und er beginnt zu rappen, erst auf Polnisch, dann auf Deutsch. Für Paul W. ist das Theaterspiel eine Oase. In den Pausen scherzt er und macht täuschend echt kläffende Kampfhunde nach. Natürlich freut er sich darauf, wenn es ernst wird und er vor Publikum spielen kann. Der Haftalltag mache müde, sagt er. Noch zwei Jahre sitzt er in Haft. „Hier stirbst du vor Langeweile“, mault der junge Pole. Nicht mal im Knast hat er eine Arbeit. Nur 500 Arbeitsplätze gibt es für 1.700 Insassen in Deutschlands größtem Männergefängnis. Zurzeit hat Paul W. auch keine eigene Zelle, weil die Anstalt überbelegt ist. Das Theater ist für ihn eine der wenigen Abwechslungen, wenngleich das tägliche Proben mit dem „aufBruch“-Team auch anstrengend ist und eigene Rituale hat. „Wichtig ist“, sagt Regisseur Atanassow, „in den sieben Wochen Proben aus allen Beteiligten eine Mannschaft zusammenzuschweißen, die tolerant miteinander umgeht und sich gegenseitig motiviert.“

Nachmittags um halb drei beginnt die Probe mit einem Stuhlkreis, in dem der Ablauf der folgenden Stunden besprochen wird. Auch Reibereien werden hier in der Runde geschlichtet. Die bleiben nicht aus bei einem 25-köpfigen Ensemble. Jeder kann Kritik äußern. Das ist nicht selbstverständlich im Knast. Es folgen Bewegungsübungen und Sprechtraining. Jetzt, kurz vor der Premiere, gibt es auch Einzelübungen. Die finden mittags statt, noch vor dem Beginn der Probe. Die meiste Zeit des täglichen Übens, das bis abends um neun andauert, beansprucht aber das szenische Arbeiten auf der Bühne. Dazu bilden die Gefangenentrakte eine Kulisse. Aus den Fenstern schallt Musik aus dem Rekorder, die sich mit den Dialogen und dem Chorgesang des Theaters mischt.

Mitmachen kann beim Theater jeder Häftling, wenn er denn vor den intensiven Proben nicht zurückschreckt. Die Gefangenenhierarchie – oben die charmanten Gauner, unten Sexualstraftäter – wird außer Acht gelassen. „Wir schauen nicht danach, wer nun was verbrochen hat“, sagt Sibylle Arndt. „Fürs Theater spielt das keine Rolle.“ Alle Akteure werden gleich behandelt, egal ob sie aus Syrien, Kongo, Russland oder der Türkei kommen.

Der Berliner Volker U. ist bereits zum fünften Mal dabei, beinahe schon ein alter Hase. Diesmal spielt er eine kleinere Rolle, einen Investor, der dem Kaiser Maximilian den Krieg finanzieren soll. Vor dem Proben arbeitet Volker U. halbtags in einer Gefängniswerkstatt. Eigentlich betreut der 45-Jährige auch das Onlinemagazin „Planet-Tegel“, aber dafür hat er im Moment keine Zeit. Ebenso wie er das Lernen für die Prüfungen – er macht das Abitur an einer Fernschule – schleifen lässt. Einzig die Termine beim Therapeuten nimmt Volker U. noch wahr. Schließlich habe er „keinen Lutscher geklaut“, meint der hoch aufgewachsene Häftling lapidar und erzählt, dass er wegen Mordes sitze und sich dementsprechend hinterfragen lassen müsse, wenn er denn die Hoffnung nicht aufgeben will, irgendwann einmal freizukommen.

Auf der Bühne werden Kämpfe nachgestellt. Regisseur Peter Atanassow unterbricht immer wieder einzelne Szenen, geht selbst auf die Bühne und gibt gestenreich Anweisungen. Die sind präzise, ruhig, aber bestimmt. „Das ist nicht nur ein Zeitvertreib, sondern am Ende will ich ein Ergebnis abliefern, das sich sehen lässt“, sagt Atanassow. Schließlich sei er weder Therapeut noch Pädagoge, sondern verantwortlich für die Inszenierung. „Wenn Theater funktioniert, dann gibt es einen Austausch zwischen den Schauspielern und dem Publikum“, meint er. Ritter Götz und seine Gefolgsleute werden am Ende des Stückes selbst eingelocht. Im Epilog sind die Häftlinge auch im Stück gefangen und tragen eigene Texte über das Leben hinter Gittern vor. Dann schließt sich der Kreis zwischen Fiktion und Gegenwart.

Premiere von „Räuber.Götz“ ist am 13. Juni, 18 Uhr, in der JVA Tegel. Weitere Vorstellungen werden am 20., 22., 27. und 29. Juni sowie 6. Juli 2007 jeweils um 18 Uhr gegeben. Aufgrund des ungewöhnlichen Spielortes sind Karten nur im Vorverkauf mit persönlicher Anmeldung erhältlich. Die Tickets müssen spätestens fünf Tage vor der jeweiligen Vorstellung erworben werden. Sie sind täglich zwischen 12 und 18 Uhr erhältlich in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Tel. 24 06 57 77.