Nachdenken über Afghanistan

Bei einer Bundestags-Anhörung wachsen die Zweifel am deutschen Engagement

Nach dem Anschlag auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai haben die Behörden sieben Verdächtige festgenommen. Bei einem Besuch Karsais in der Provinz Ghasni südlich von Kabul hatten Angreifer am Sonntag mehrere Raketen auf den Platz abgefeuert, auf dem der Präsident eine Rede hielt. Die Geschosse verfehlten ihr Ziel. Der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, verurteilte den Angriff scharf. Gleichzeitig äußerte er sich besorgt über den steigenden Handel mit Waffen in Afghanistan. Betroffen von den verstärkten Rüstungslieferungen sei vor allem der Norden des Landes, der bislang als relativ friedlich galt, so Koenigs. „Dass die Menschen sich dafür entscheiden, Waffen zu kaufen, zeugt vom Klima der Unsicherheit in diesem Land“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. „Ich weiß nicht, woher diese Waffen kommen und wohin sie gehen. Eines aber ist sicher: Das ist nicht gut für die Stabilität des Landes.“ AP, AFP

BERLIN taz ■ Der tödliche Anschlag auf deutsche Bundeswehr-Soldaten im nordafghanischen Kundus im Mai hat die Diskussion über die im Herbst anstehende Verlängerung des deutschen Mandates neu entfacht. Zumal – wie gestern das Handelsblatt berichtete – Bundeswehr und Auswärtiges Amt mit weiteren Anschlägen in Nordafghanistan rechnen. „Selbstmordattentäter stehen augenscheinlich zur Verfügung“, hieß es in einem vertraulichen Bericht, den ein Vertreter des Außenministeriums in Abstimmung mit militärischen Stellen in Afghanistan verfasst und vor wenigen Tagen nach Berlin geschickt habe.

Viele Abgeordnete beschleichen zunehmend Zweifel an der bisherigen Strategie am Hindukusch. „Scheitert der Westen in Afghanistan?“ – dieser Frage widmete sich am gestrigen Montag auch die FDP-Bundestagsfraktion in einer offenen Expertenanhörung.

„Wenn wir nicht statt der vielen militärischen Offensiven endlich eine Entwicklungsoffensive starten“, wetterte Rupert Neudeck, der in Afghanistan mit seinem Grünhelme e. V. Schulen baut, „dann werden wir die Frage nach dem Scheitern mit Ja beantworten müssen.“ Viele Afghanen erwarteten, dass Deutschland viel stärker in Erscheinung trete als bisher.

Starke Kritik übte Neudeck an der Polizeiausbildung unter deutscher Federführung. Sie habe es nicht vermocht, eine Polizei aufzubauen, die den Namen verdiene. Berlin feiert es derzeit als Erfolg, den Prozess europäisiert zu haben und zusätzlich zu den 49 deutschen noch rund 150 europäische Beamte an den Hindukusch zu schicken. Am 17. Juni werden sie ihre Arbeit vor Ort aufnehmen. Doch solche Zahlenspiele nutzten den Menschen nichts, sagte Neudeck.

Der bisherige Wiederaufbau habe die Afghanen zu wenig eingebunden, kritisierte Thomas Ruttig, Afghanistan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Man muss sich aus Kabul herausbegeben und den Leuten erklären, was mit den internationalen Milliarden geschehen ist. Und vor allem muss man sie fragen, was sie wollen“, so Ruttig. Er forderte auch eine Stärkung der regionalen Strukturen. Bislang hätten Provinzgouverneure keine eigenen Entwicklungsbudgets, mit denen sie den Wiederaufbau gestalten könnten. Starke Kritik übte Ruttig am Vorgehen der USA in Afghanistan. „Bündnistreue heißt auch Absprache und nicht, dass US-Truppen unerwartet auftauchen, von denen die anderen Isaf-Partner nichts wissen.“

Bei der FDP will man eine Mandatsverlängerung zwar nicht generell in Frage stellen, sagt der Vorsitzende der Afghanistan AG, Helmut Königshaus. Doch die zunehmende Ungeduld ist dem Politiker anzuhören: „Wir sollten den Zeitpunkt der Mandatsverlängerung nutzen, um der korrupten und in die Drogenkriminalität verwickelten politischen Elite die Pistole auf die Brust zu setzen“, so Königshaus. Zwar wolle man nicht als Besatzungsmacht auftreten, aber es bringe nichts, weiter „den Büttel zu machen und nur Geld ins Land zu bringen“. KEL