Partnertausch im Harem

Eine Geschichte über den Zusammenprall östlicher und westlicher Kulturen: Die Inszenierung von Rossinis „L‘Italiana in Algeri“ am Essener Aalto-Theater bildet den fulminanten Abschluss der Saison

VON REGINE MÜLLER

Die Glücksgöttin Fortuna soll eine launische Dame sein, geizig und vor allem unberechenbar. Davon wissen gerade die Theater zu berichten. Am Essener Aalto-Theater hat man in dieser Spielzeit mit der kapriziösen Lady wohl einen Vertrag geschlossen. Denn das Glück, von dem die Essener Oper derzeit geradezu verfolgt scheint, hat Methode.

Seit langem schon strahlt das Essener Haus, an dem Intendant Stefan Soltesz ein bekanntlich eisernes und ganz auf ihn zugeschnittenes Regiment führt, am hellsten in NRW und darüber hinaus. Kritik und Publikum sind sich sogar ausnahmsweise einig, was die exorbitant hohen Auslastungszahlen beweisen.

Soltesz‘ Kurs lässt sich beschreiben als eine schlitzohrige Mischung aus Konservatismus und Risiko: Neue Musik, geschweige denn Uraufführungen, kommen nicht vor, Abseitiges und Gewagtes überlässt man anderen – wie etwa dem Musiktheater im Revier mit seinen Belcanto-Ausgrabungen. Dafür setzt Soltesz bei der Regie konsequent auf Risiko. Und gewöhnt das Publikum daran.

Hatte Barrie Koskys gruftig-obszöne Chorszene in Wagners „Fliegendem Holländer“ in der letzten Saison noch wütendes Proteströhren entfacht, war der Jubel über seine in einem kreisenden Kubus spielende „Tristan“-Deutung groß. Auch Stefan Herheim, der unlängst seinen Atem beraubenden „Don Giovanni“ als provozierend verspäteten Beitrag zum Mozart-Jahr in Essen ablieferte, ist ein Skandal-Kandidat, sorgte er doch in Salzburg mit der „Entführung“ für nachhaltigen Dauerprotest der Festspielschickeria.

Das Risiko, den Gelsenkirchener Chefregisseur Andreas Baesler für Gioacchino Rossinis „Italienerin in Algier“ zu holen, mag als vergleichsweise gering einzuschätzen sein, denn Baesler liefert nebenan regelmäßig amüsante, leicht schräg gebürstete und handwerklich gekonnte Arbeiten ab. Es zeigt aber, dass der Essener Chef sich umtut und nicht nur die großen Agenturen arbeiten lässt. Auch das steht im Vertrag mit der Glücksgöttin.

Zuverlässig und mit spürbarer Lust greift Baesler in Essen in die Vollen: Die im Dubai-Chic blitzende Empfangshalle (Bühne: Hermann Feuchter) eines nahöstlichen Flughafens bildet die ganz heutige Kulisse für Rossinis Komödie von anno 1813 über den Zusammenprall östlicher und westlicher Kulturen. Werbung für westliche Luxusgüter schmückt die Halle, auf einem Flatscreen flimmern Sophia Loren und Cary Grant in „Hausboot“, während Macho „Mustafa“ (Diogenes Randes) auf dem Designersofa lümmelt und der Gattin „Elvira“ (Christina Clark) den arabischen Tee verweigert. „Mustafa“ begehrt die Italienerin „Isabella“ (Ann Hallenberg), und will die Gattin loswerden, indem er sie dem Italiener „Lindoro“ – in Wahrheit Isabellas Geliebter – andient. Die Europäer sind bei Rossini in Mustafas Harem geraten, bei Baesler ist man nicht sicher, ob die bunte Schar mit Rollkoffern (Chor: Alexander Eberle) Geiseln oder Touristen sind.

Konflikt und Faszination durch die jeweils fremde Kultur spitzt Baesler auf jede erdenkliche Art ironisch und komödiantisch – doch niemals klamottig – zu. Mancher Lacher bleibt im Hals stecken, so treffend und aktuell werden die Varianten des italienischen und orientalischen Machismo einander gegenüber gestellt. So tapsig und doch authentisch schauen die Gotteskrieger mit Fusselbärten drein, die mit ihren Kalaschnikovs fuchteln. Und doch löst Baesler die Sache in einen wirbelnden, versöhnlichen, beißend ironischen Spaß auf.

Moussierend und leicht lässt Dirigent Pietro Rizzi die Essener Philharmoniker musizieren und ist den erstklassigen Sängern ein sicherer Partner. Ann Hallenberg lässt als „Isabella“ ihren satten Mezzo blitzen, gurren und schillern, Mario Zeffiris „Lindoro“ turnt gelenkig in höchsten Tenorhöhen und prunkt mit sahnigem Schmelz, Diogenes Randes‘ „Mustafa“ ist markig, sonor und hinreißend komisch, ein Kabinettstück liefert auch Renato Girolami als abgelegter Liebhaber „Taddeo“ ab. Großer, einhelliger Jubel für alle Beteiligten.

16. Juni und 23. Juni Infos: 0201-8122200