„Was zählt, ist das Hier und Jetzt“

Mit sanften Klängen und lebensbejahenden Texten unterhält in dieser Woche die Band Obscenity Trial die deutschen Soldaten in Afghanistan. Oliver Wand und Frank Hass über ihre Botschaft, die Bundeswehr und den Krisenherd Afghanistan

INTERVIEW LUTZ DEBUS

taz: Herr Wand, Herr Hass, Sie beide sind auf Einladung der Bundeswehr mit Ihrer Band Obscenity Trial zu Gast bei der deutschen ISAF-Truppe in Kabul und Mazar-e-Sharif. Wie sind Sie denn an den Job gekommen?

Oliver Wand: Das lief ganz normal über unsere Agentur. Die hat schon seit einigen Jahren Kontakte zur Bundeswehr.

Und wie hoch ist die Gage?

Wir bekommen gar keine Gage. Der Flug dorthin ist frei. Die Unkosten werden uns erstattet und wir bekommen eine minimale Aufwandsentschädigung.

Wie werden Sie denn in Afghanistan untergebracht?

Ich habe gehört, dass es dort klimatisierte Container gibt. Im schlimmsten Fall übernachten wir in Feldbetten im Zelt.

Was für eine Art Musik macht Obscenity Trial?

Wir machen Elektropop. Es ist in etwa die Stilrichtung von Depeche Mode. Angefangen haben wir 1993. Wir waren Schüler und hatten Lust, eine Band zu gründen. Relativ schnell haben wir dann auch große Konzerte gemacht. Das zweite Konzert war in der Biskuithalle in Bonn vor 2.000 Leuten. Unser Komponist ist später, um zu studieren, nach Bielefeld gezogen. Durch die Entfernung war es uns dann unmöglich, weiter zu arbeiten. 1998 haben wir uns getrennt. Ich wollte aber mit Frank wieder elektronische Musik machen. Im Sommer 2004 saßen wir wieder zusammen. Ein halbes Jahr später gab es einen Plattenvertrag und ein drei Viertel Jahr später waren wir sechs Wochen unterwegs als Support-Band. Jetzt fahren wir nach Afghanistan. Da ist in kurzer Zeit so viel passiert, womit wir nicht gerechnet hatten.

Wovon handeln Ihre Texte?

Unser Hit „Daydream“ handelt davon, dass man, auch wenn man mal schwere Zeiten im Leben hat, trotzdem selbst den Arsch hochkriegen muss, um die Dinge wieder in Bewegung zu bringen, und nicht darauf warten soll, dass einem von außen alles zufliegt.

Glauben Sie, das sei die richtige Botschaft für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan?

Frank Hass: Das sehen wir dann. Zunächst mal geht es uns darum, den Jungs eine gute Show zu bieten. Die sollen einfach ein paar Stunden abschalten können. Ob sie sich so intensiv mit unseren Texten auseinandersetzen, wie dies unsere Fans in Deutschland tun, wird sich zeigen.

Den Jungs? Gibt es im Publikum keine Soldatinnen?

Oliver Wand: Soweit ich weiß, sind da auch Frauen stationiert. Der größere Teil unserer Fans sind übrigens Frauen. Das liegt aber daran, dass die Männer nicht zugeben können, uns zu hören. Im Moment stehen in der Club-Szene die Männer auf härtere Sachen. Aber zu Hause hören sie dann trotzdem alle Depeche Mode oder Obscenity Trial. Die fahren auch mit der Freundin zu unserem Konzert, wippen aber nicht mit, weil das uncool ist.

Wurden Sie von der Bundeswehr deshalb ausgesucht, weil Sie so sanfte Musik machen?

Mit Sicherheit! Unsere Musik hat eine gewisse Massenkompatibilität. Wir werden den 19-jährigen Soldaten genauso wie den 50-jährigen Major dort unten im Publikum haben. Ein Konzert von einem Hard-Core-Rapper, der Masken trägt, wäre schwieriger zu veranstalten gewesen.

Die Webside von Obscenity Trial ist eher dunkel gehalten, sieht etwas gruftig aus.

Noch. Sie wird heller werden. Wir lieben das Leben. Unser Titelsong „Here and Now“ sagt genau das aus. Nach Möglichkeit soll man jeden Moment des Lebens genießen. Alles, was zählt, ist das Hier und Jetzt. Niemand weiß, was morgen passiert. Niemand weiß, ob er einen Herzinfarkt bekommt oder Krebs, ob er einen Autounfall hat oder mit einem Flieger abstürzt. Vielleicht triff man auch den bärtigen Taliban.

Drei Deutsche wurden im vergangenen Monat in Afghanistan getötet. Wie hat diese Nachricht auf Sie gewirkt?

Zunächst haben wir unser Beileid ausgedrückt. Später haben wir nachgefragt, ob wir noch runterfliegen. Ich hätte eine Absage seitens der Bundeswehr gut verstanden. Wir hatten auch einen Auftritt in Kundus geplant. Der wird aber nicht stattfinden.

Warum nicht?

Weiß ich nicht genau. Zwischen den Zeilen habe ich rausgehört, dass es der Bundeswehr zu heiß ist, uns als Zivilisten nach Kundus zu schicken.

Wissen Sie, was sie in Afghanistan erwartet?

Ich habe durch die Gespräche, die ich mit unserem Betreuer von der Bundeswehr, der uns auch begleiten wird, geführt habe, ein wenig Einblick gewonnen. Er sagte, es wäre schwierig, alle Interessen im Land unter einen Hut zu bekommen. Die Bundeswehr verbrennt zum Beispiel nicht die Mohnfelder, weil diese die Existenz vieler Afghanen sichern. Und das wiederum ist problematisch, weil die Mohnfelder die Einnahmequellen der radikalen Gruppen sind, die mit dem Geld Anschläge finanzieren.

Ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Ihrer Ansicht nach zu befürworten?

Die Frage kann ich Ihnen beantworten, wenn ich wieder zurück bin. Im Moment weiß ich einfach zu wenig. Wenn ich aber jetzt schon wüsste, dass dieser Bundeswehreinsatz völlig falsch ist, würde ich nicht fliegen.

Haben Sie Angst?

Oliver Wand: Im Moment überhaupt nicht.

Frank Hass: Ich habe eher gemischte Gefühle. Natürlich habe ich Respekt, nehme die Reise nicht auf die leichte Schulter. Aber die Neugier überwiegt.

Oliver Wand: Wir wissen ja, dass wir in ein Krisengebiet fahren. Erst wenn wir von Usbekistan aus in die Maschine steigen, die uns nach Afghanistan bringen wird, beginnt der kritische Teil der Reise. Dann kann es passieren, dass wir ins Visier genommen werden, dass die Abwehrsysteme im Flieger oder im Helikopter ausgelöst werden. Es ist noch nicht entschieden, ob wir mit einer Transall oder einem Hubschrauber reinfliegen. Ab dem Zeitpunkt wird es losgehen mit dem Adrenalin. Ich bin ja kein Soldat.

Waren Sie selbst bei der Bundeswehr?

Mit ihrem Debütalbum „Here And Now“ gewann die Zwei-Mann-Elektronik-Pop-Gruppe Obscenity Trial unter anderem den „Deutschen Rock Pop Preis“ in der Kategorie „Bestes Pop Album 2006“. Der Sänger Oliver Wand (Foto links) ist gebürtiger Waltroper, er ist aufgewachsen in Castrop-Rauxel. Nach Stationen in Bergheim, Bremen und Berlin lebt der 34-jährige gelernte Kaufmann seit 15 Jahren in Recklinghausen. Der Keyboarder Frank Hass (unten), ebenfalls im Erstberuf Kaufmann, wurde in Grevenbroich geboren und ist in Bergheim aufgewachsen. Noch heute lebt er in der Region. Morgen spielen die beiden den deutschen Soldaten im Camp Marmal im afghanischen Mazar-e-Sharif was vor. FOTOS: DEBUS

Frank Hass: Damals war ich frisch verheiratet, hatte über sechs Jahre nichts mehr vom Bund gehört. Mein Sohn war schon unterwegs. Ich hatte meinen frisch unterschriebenen Bauantrag in der Tasche. Just in diesem Moment kam meine Einberufung. Ich habe dann verweigert. Weil das aber zu kurzfristig war, musste ich drei Wochen hin.

Oliver Wand: Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Ich habe Zivildienst gemacht, einen behinderten Menschen betreut. Ich war aber im Alter von 18 Jahren nicht politisch interessiert.

Manche sagen, Deutschland sollte sich wegen seiner Geschichte nicht an militärischen Auslandseinsätzen beteiligen. Können Sie das verstehen?

Das nervt mich. Das ist das beliebteste Argument von den Politikern, die Bundeswehreinsätze ablehnen. Ich bin lange nach dem Krieg geboren. Was habe ich damit zu tun? Das, was damals passiert ist, darf zwar nicht vergessen werden, aber als Argument gegen Bundeswehreinsätze taugt es nicht.

Hat die Reise auch etwas mit PR für die Band zu tun?

Nein. Als ich die Email-Anfrage bekam, hat es keine vier Minuten gedauert, bis ich sie beantwortet habe. Die Zeit brauchte ich, um Frank zu fragen. Wir haben beide sofort gesagt, dass wir das machen wollen. Dass wir dadurch eine gewisse Medienaufmerksamkeit bekommen, war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.

Der Film „Good morning Vietnam“ erzählt von einem Musikbegeisterten, der den Menschen Freude bringen will und an der Brutalität des Krieges scheitert. Könnte Ihnen Ähnliches widerfahren?

Natürlich! So etwas könnte passieren. Wir erleben dort womöglich Dinge, die wir heute noch nicht einschätzen können.

Werden Sie etwas vom Alltag der Menschen in Afghanistan mitbekommen?

Wir wissen noch nicht, ob wir die Camps, wo wir dann auftreten werden, verlassen dürfen. Zu Fuß über den Markt zu gehen, ist für uns wohl nicht drin. Aber vielleicht können wir mit einem Panzerfahrzeug mitfahren. Ich kenne zwar schon Videoaufnahmen aus Kabul. Aber das sind eben nur Videoaufnahmen. Das eigene Erleben, das Sehen, das Hören, das Riechen erfährt man auf keinem Video. Um sich vorzustellen, wie eine Stadt riecht, die keine Kanalisation hat, muss man dagewesen sein. Es gibt da nur offene Kanäle an den Straßenrändern, und über diesen Gräben hängt das rohe Fleisch zum Trocknen in der Sonne. Das ist so weit weg von uns und das bewegt mich.

Wird es ein Lied „Kabul“ geben?

Ich kann mir vorstellen, das Thema in einem Text zu bearbeiten. Aber ich würde auf jeden Fall einen anderen Titel wählen.