In der Nische

AUSSENSEITER Abseits des mit Medizin und Millionen geförderten Sportbetriebs der DDR spielten Thomas Emmrich Tennis und Bernd Rudolph Golf – gegen etliche Widerstände

„Rückblickend habe ich mich manchmal gefragt: Warum bist du damals nicht einfach abgehauen“

VON MARKUS VÖLKER

DER GOLFER

Wenn man Bernd Rudolph, 72, fragt, wie das damals so war, dann erzählt er, erzählt und erzählt. Zwischenfragen ignoriert er geflissentlich, um eine weitere Anekdote loszuwerden. Zum Beispiel, wie schwer man es hatte als Golffreund in der DDR. „Das passte ja damals nicht ins Konzept, die Vorurteile waren riesig.“ Eigentlich war der Sport in der DDR tot. Er wurde schon in der Sowjetischen Besatzungszone ausradiert. Die Aversion gegen den Sport der Reichen war einfach zu groß.

„Gemüse statt Golf“, so lautete das Motto nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Grüns im Osten wurden umgepflügt oder gleich in Kleingartenanlagen umgewandelt wie die 9-Loch-Anlage am Dresdner Nachtflügelweg. Auch in Nedlitz bei Potsdam, Magdeburg-Herrenkrug oder Bad Dürrenberg war Ende der 40er Jahre nicht mehr an Golf zu denken. Als letzter Golfplatz machte der im thüringischen Oberhof 1951 dicht. Das anliegende Golfhotel wurde wie andere Hauser enteignet, weil dort „politisch reaktionärer Klüngel schwerste Wirtschaftsverbrechen“ begehe und „durch Verleumdungen und Hetze das Ansehen unserer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in Misskredit“ bringe. Jahrzehntelang wurde so gut wie kein Golfschläger in der DDR geschwungen.

Erst der zunehmende Tourismus veränderte die Lage. In der Tschechoslowakei war man nicht so rigide gegen Golfer vorgegangen wie im Herrschaftsbereich von Walter Ulbricht. „Da war man nicht so blind“, sagt Rudolph, „die Tschechen haben die Golfplätze in ihr Tourismuskonzept mit eingebunden. Die Plätze dort wurden gepflegt, und spielen konnte man auf ihnen für einen Spottpreis.“ Der bekannteste Platz lag in Marienbad, Mariánské Lázne. Etliche DDR-Bürger entdeckten in der Kurstadt ihre Liebe zum Golf, 1976 auch Bernd Rudolph. Von dem Kulturoffizier der Nationalen Volksarmee hätte man erwartet, dass er diesen „bourgeoisen Sport“ ablehnt, aber er war hin und weg. Ideologische Vorbehalte hatte er nie, sagt er.

„Wenn man den Rasen nicht kaputt haute, durfte man auf den Platz“, erinnert er sich. „Das lief alles unorthodox.“ Man besorgte sich billig alte Schläger und Bälle oder bekam sie geschenkt. Man band, geübt im Improvisieren, Fäden an Bälle, um sie nach einem Übungsschlag sicher zurückzuholen und schweißte sich Golf-Buggys zusammen.

Zehn Jahre spielte Rudolph in jedem Urlaub Golf, ohne an sein Handicap zu denken. Gepackt vom Ehrgeiz hat er dann in einem Urlaub gleich neun Turniere gespielt und ist mit Handicap 29 nach Hause gefahren. Doch er wollte mehr. Versuchte seine Armeekollegen mit dialektischen Kniffen zu überzeugen („Eine Sache ist nur solange eine Sache der anderen, solange ich nicht davon Besitz ergreife.“) und übte schließlich auf einem Platz für Bogenschützen in Strausberg bei Berlin Abschläge und Putts. Als er nach Dresden versetzt wurde, gründete Rudolph eine „allgemeine Sportgruppe Golf“ innerhalb der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Robotron Dresden-Mitte. In dieser Zeit gab es Überlegungen, einen Golfplatz an das 1986 errichtete Interhotel in Dresden anzugliedern – für zahlungskräftige Westkunden. Aber der Plan eines 18-Loch-Platzes, der bereits vom schwedischen Architekten Jan Sederholm ausgearbeitet war, scheiterte. Den obersten DDR-Funktionären war das dann doch nicht geheuer.

In der Zeit des Mauerfalls überschlugen sich die Ereignisse im DDR-Golf. Rudolph gründete im April 1990 den Deutschen Golfverband der DDR. Kurz darauf trat die erste und einzige DDR-Golfnationalmannschaft zur 16. Internationalen Gemischten Vierer-Meisterschaft in Lindau an. „Uns ging es wie den Jamaikanern im Bobsport, wir waren die Sensation schlechthin.“ Doch mit den Westfunktionären verstanden sich die Ostler nicht so gut. „Die dachten, hier ist ein schönes Niemandsland, da können sie Schalten und Walten wie sie wollen.“ Rudolph war auf der Hut. Immer dann, wenn Immobilienspekulanten Kasse machen wollten, hatte der seit 1994 bestehende Golfsportförderverband Neue Bundesländer ein Auge auf die Projekte. „Wir haben viel Wildwuchs und Bodenspekulation verhindert“, sagt Bernd Rudolph, „und heute haben wir ein schönes, wohl gewobenes Netz von Golfplätzen im Osten.“

DER TENNISSPIELER

Der Mauerfall kam spät, 20 Jahre zu spät. Als der Wall bröckelte, war Thomas Emmrich, der mit Abstand beste Tennisspieler der DDR, schon 36 Jahre alt. Er hatte mit seiner Karriere abgeschlossen. In einer Zeit, in der alles möglich schien, ging Emmrich auf Krücken. Eine Knie-OP. Meniskus und Kreuzband waren ungefähr so kaputt wie das alte System. „Es war eine sehr unglückliche Zeit für mich. Ich hatte Pech“, sagt er. „Erst ein Dreivierteljahr später konnte ich wieder zum Schläger greifen.“

Es ist aber nicht das Jahr 1989, mit dem Emmrich hadert, sondern das Jahr 1969, als der sogenannte Leistungssportbeschluss des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) fiel. Darin heißt es: „In Vorbereitung auf die Olympischen Winter- und Sommerspiele 1972 besteht eine notwendige politische Hauptaufgabe darin, die gegenwärtigen und künftigen Mittel des Nachwuchs- und Leistungsbereiches durch Umgruppierung auf die erfolgsversprechendsten Sportarten unter den Bedingungen der DDR zu konzentrieren.“ Tennis wurde nicht mehr gefördert, dafür Leichtathleten, Schwimmer oder Gewichtheber umso mehr, oft auch durch üppige Gaben von anabolen Steroiden.

In den 60er Jahren spielte Emmrich, der in Berlin-Weißensee aufwuchs, noch im Westen, in der Schweiz und auch im vergleichsweise liberalen Jugoslawien den Davis Cup der Junioren. Das ging dann nicht mehr. „Rückblickend habe ich mich manchmal gefragt: Warum bist du damals nicht einfach abgehauen.“ Aber da gab es die Eltern, die Mitglied der SED waren und mit Repressalien rechnen mussten. Da war auch die Hoffnung des jungen Tennisspielers, dass sich vielleicht einmal etwas ändern würde. Dass er womöglich den allmächtigen Sportführer Manfred Ewald überzeugen könnte von der Schönheit seines Sports. Aber während Russen und Tschechen ATP-Turniere im Westen spielen durften, konnten DDR-Tenniscracks nur im Ostblock herumtingeln.

In Jugendjahren schlug Emmrich die Tschechen Ivan Lendl, Tomas Smid und auch den Polen Wojciech Fibak. Sie machten allesamt Karriere in der großen Tenniswelt. Lendl, der in die USA übersiedelte, führte lange Zeit die Weltrangliste an. Was wäre da nicht alles möglich gewesen für Thomas Emmrich? Eine Top-Ten-Platzierung in der Bestenliste? Ein Dollarvermögen, Ruhm und Ehre? „Ja, ich habe immer viele Kreuzvergleiche angestellt, dieses Leistungsniveau hatte ich ja auch.“ Aber er hat sich arrangiert in der DDR, in einer Nische des Sports. Er konnte mit Hilfe des Schwermaschinenkombinates „Ernst Thälmann“ (SKET) in Magdeburg hauptsächlich Tennis spielen. Emmrich musste nicht in den Betrieb, sondern kümmerte sich, wenn er in Magdeburg war, ein bisschen beim Verein Motor Mitte um den Nachwuchs.

17 Jahre lang blieb er in der DDR ungeschlagen, gewann 48 Meistertitel („Ich hätte ein paar Wohnungen mit Urkunden tapezieren können.“), reiste herum von Turnier zu Turnier und genoss seine Privilegien, so gut es eben ging. Dazu gehörte, dass er nicht 13 Jahre auf ein Auto warten musste wie die meisten DDR-Bürger. Emmrich bekam gleich eins. Auch eine Wohnung bekam er schnell, ohne sich anzumelden. „Mir ging es eigentlich sehr gut in der DDR. Ich durfte reisen, und bezahlt wurde das auch noch. Im Ostblock hatte ich einen guten Namen. Alle waren froh, wenn ich da war.“ Eine „Ausnahmestellung“ habe er genossen, damals. Aber für einen Sieg gab es eben nur eine Kristallschale, die Emmrich oft genug im An- und Verkauf verhökerte, oder einen Strauß Plastikblumen – und keinen Dollarscheck. Nur einmal, bei einem Turnier in Sofia, das für Emmrich überraschenderweise von der ATP ausgerichtet wurde, gewann er 2.200 Dollar. Aber die durfte er nicht mitnehmen. Der Vizepräsident des DDR-Tennisverbandes, der Emmrich auf die Finger schaute, verbot es ihm. „Das wären damals locker 50.000 Ostmark im Umtausch gewesen“, ärgert er sich noch immer, „was hätte man damit nicht alles machen können?“

Er hat heute sein Auskommen in der Nähe von Düsseldorf gefunden. „Ich hatte ein Bombenleben“, sagt Thomas Emmrich, „aber ein Leben, das letztlich unerfüllt blieb.“