Angst um Halberstädter Wurst

Nach Überfall auf eine Theatergruppe sagen Touristen ab. Zweiter Mann verhaftet

BERLIN taz ■ Halberstadt hat jetzt auch ein Touristenproblem: Vier Tage nach dem brutalen Überfall auf ein Theaterensemble haben sich Besucher aus verschiedenen Bundesländern gegen eine Reise in die Stadt im Harz entschieden, sagte Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) der Magdeburger Volksstimme. Auch eine norddeutsche Firma setzte eine geplante Mitarbeitertagung ab. Das Kulturforum Hamburg habe dies mit der Hoffnung verbunden, dass sich viele andere ebenso entscheiden, bestätigte Ute Huch, Sprecherin der Stadt, der taz.

Der Überfall auf das Theaterensemble hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Am späten Mittwochnachmittag fasste die Polizei einen zweiten Tatverdächtigen. Der 29-Jährige wird, ebenso wie der bereits inhaftierte mutmaßliche Haupttäter, der rechtsextremen Szene zugeordnet. Nach Angaben der Polizei ist er den Ermittlern wegen Körperverletzungs- und Propagandadelikten bekannt. Gegen ihn wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Der Verdacht gegen drei weitere Männer habe sich nicht bestätigt, teilte die Polizei mit. Für Hinweise aus der Bevölkerung wurde eine Belohnung von 3.500 Euro ausgesetzt.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) kündigte unterdessen an, die Landeskampagne gegen Rechtsextremismus intensiv fortführen zu wollen. Sie trägt das Motto „Hingucken!“ – genau das soll die Halberstädter Polizei nach dem Angriff auf die Schauspielergruppe nicht getan haben.

„Das Problem wird an der Basis oft verharmlost und verdrängt“, urteilte Klaus Schroeder, Politologe und Rechtsextremismus-Fachmann von der FU Berlin. „Hauptsache, es gibt keine negativen Schlagzeilen und die Leute kaufen weiter Halberstädter Würstchen.“ Auch die Sprecherin der Stadtverwaltung bestätigte, dass es „ein Problem mit der rechtsextremen Szene gibt“.

Tatsächlich ereignen sich in Halberstadt seit Jahren immer wieder gewalttätige Übergriffe von Rechtsextremen. Auch die NPD ist in der 40.000-Einwohner-Stadt aktiv. Im März 2006 war Halberstadt bundesweit in die Kritik geraten, weil der Landkreis ein geplantes Antinazikonzert von Konstantin Wecker nach NPD-Drohungen nicht erlaubt hatte. Erst vor wenigen Wochen wurde gegen sieben Personen aus der rechten Szene ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Die Rechtsextremisten sollen das linke soziokulturelle Zentrum Zora mit Steinen beworfen haben.

Am vergangenen Wochenende nun wurden 14 Mitglieder des Nordharzer Städtebundtheaters von acht zum Teil noch unbekannten Tätern überfallen und teilweise schwer verletzt. Die Polizei war wegen ihres Einsatzes heftig kritisiert worden, weil sie den Hauptverdächtigen noch am Tatort wieder laufen ließ – obwohl er nur zur Bewährung auf freiem Fuß war. Der 22-Jährige wurde erst nach zweitägiger Fahndung festgenommen. Jetzt sitzt er in U-Haft, hat allerdings bisher keine Aussage zu seinen Komplizen gemacht. CIGDEM AKYOL LUCAS VOGELSANG