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Orpheus in der Staplerwelt

OPER Mit Monteverdi bringt die Hochschule für Künste großes Musiktheater in die Überseestadt

Von HENNING BLEYL

Kaum hat sich das Theater Bremen in die Sommerpause verabschiedet, geht andernorts der Vorhang auf: Die Hochschule für Künste verlagert das musiktheatrale Epizentrum der Stadt vom Goetheplatz an den ehemaligen Hafen. In der Staplerhalle – oder BLG-Forum, ökonomisch korrekt ausgedrückt – bringt sie Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ auf die Bühne. Und dieses Werk ist nun mal weit mehr als ein Meilenstein der Musikgeschichte, eher schon so etwas wie der Startschuss einer ganzen Gattung, eben der Urknall der Oper. Diesen im industriellen Ambiente der ehemaligen Gabelstapler-Wartungshalle nachzuerleben, generiert einen Charme ganz eigener Art.

Als Intendant des Bremer Musikfestes hat Thomas Albert die Halle schon öfter bespielen lassen, nun steht der HfK-Professor selbst am Pult und beweist einmal mehr Umsicht und Elan als Dirigent. Seine Instrumentalisten haben es jedoch nicht leicht: Eine Werkhalle ist trotz allem kein Konzertsaal und die historisch korrekte Überschaubarkeit des Orchesters, gepaart mit dem Einsatz der nachgebauten Instrumente – deren Entwicklung zu mehr Voluminität späteren Jahrhunderten vorbehalten war – mindert die Präsenz des Gesamtklangs. Allerdings fehlt es auch ein wenig an jener drängenden Expressivität und Entschiedenheit, an beißender Präzision, an der dezidierten Schroffheit des Strichs und der für „alte Musik“ so wesentlichen Lust, an jedem Halb- oder vielmehr Mittelton zu leiden, der die instrumental dargestellten Affekte zu intensiven Hörerlebnissen werden lässt. Kurzum: Die Sänger sind besser.

Schon Anna Terterjan als „Musica“ – eine allegorische Figur, die die Demonstration ihrer eigenen Kraft und Wirksamkeit ankündigt – zeigt mit ihrer leichten und dennoch energiegeladenen Stimmführung, wie die besonderen Qualitäten „alter“ Musik darstellbar sind. Auch die Vokal-Ensembles sind tadellos: Als Hirten und Nymphen besingen sie mit makelloser Intonation und perfekten Affekt-Figuren das Glück von Orpheus und Euridice.

Was man ihnen allerdings wünschen würde, ist eine interessantere szenische Einbettung: Einzig der visuelle Subtext der Filmprojektionen lässt spüren, dass seit der Uraufführung des Werkes 404 Jahre und vier Monate vergangen sind. Ansonsten ist die Inszenierung des thrakischen Freiluft-Idylls zunächst von derart konventioneller Heiterkeit, dass man der plötzlich auftauchenden Messagiera geradezu dankbar ist, als sie mit der Todesbotschaft dem manirierten Treiben ein jähes Ende setzt.

Dann schlägt die Stunde des Orpheus. Kazuhisa Kurumada ist ein stimmgewaltiger Barde, der bekanntlich nicht nur Unterweltgottheiten erweicht, sondern auch ganz konkret im Hier und Jetzt die etwas ungerichtete Akustik der Halle mühelos überbrückt. Das geht zwar einher mit einem gelegentlich leicht angekehlten Stimmklang – in den wirklich existentiellen Momenten erreicht Kurumada jedoch eine Ausdrucksdichte, die beeindruckend ist. Auch die Inszenierung gewinnt nun an Spannung: Jorge Mendoza Martinez als Caronte liefert die erste auf theatraler Ebene ernst zu nehmende Interpretation des Abends, in dem er den Unterwelt-Fährmann mit roboterhafter Motorik darstellt – eine ebenso unmittelbare wie adäquate Übersetzung von dessen Unmenschlichkeit: Caronte lässt Orpheus, der im Totenreich nach seiner Braut suchen will, nicht übersetzen.

In dieser zweiten Hälfte setzt die Bühnen- und Kostümgestaltung auf geometrisierende Elemente, deren kristalline Strukturen ebenfalls der Inhumanität und Härte des Hades entsprechen. Durch die Öffnung des Raums kann die Schuhkarton-Architektur der Halle nun ihre Qualitäten zeigen, ihre installatorischen Reichtümer zwischen Gabelstapler-Waschanlage und Feuerwehrschlauchanschlüssen ebenso wie ihre schiere Tiefe. Und da man so ein Gebäude sogar unter Wasser setzen kann, ohne Kresnik’sche Kollateralschäden fürchten zu müssen, ergießt sich tatsächlich so etwas wie ein Styx über die Bühne. Nicht wirklich ein „Wasser des Grausens“, doch immerhin eine Art Seenlandschaft, die den AkteurInnen zur einen oder anderen anmutigen Sprungfigur Gelegenheitgibt. In diesem Ambiente entfaltet sich das Duett zwischen Plutone und Prosperina als Herrscherpaar der Unterwelt: Insbesondere Marie-Luise Werneburg gelingt es, die Interaktion innerhalb dieses „Anti-Paares“ so dicht zu gestalten, dass Orpheus und Euridice dagegen ziemlich katholisch wirken.

Für eine Institution wie die HfK ist ein solches Opernunternehmen die alljährlich wiederkehrende große Herausforderung – und die Chance zu zeigen, wie die verschiedenen Fachbereiche zu einem gemeinsamen Projekt zusammenfinden können. Sämtliche Werkstätten von Metall über Mode bis hin zu Multimedia beteiligen sich, um den MusikerInnen zu Bühnenbild, Kostümen und Requisiten zu verhelfen.

Logistisch wie inhaltlich ist das ein beachtlicher Leistungsnachweis, zumal der „L’Orfeo“ in Sachen historisch informierter Aufführungspraxis besonderes Spezialwissen und -können erfordert. Glücklich also die Hochschule, die ein solches Werk mit all’ seinen auch instrumentalen Erfordernissen vom metallisch näselnden Zinken über Barockgeigen und Naturtrompeten bis zu den langhalsigen Chitarronen mit eigenen Kräften besetzen kann – mal abgesehen von den ursprünglich vorgesehenen Kastraten. Aber selbst eine derart gut ausgebaute Abteilung für Alte Musik wie die der HfK kann heutzutage beim besten Willen nicht mehr alles haben ...

Weitere Aufführungen: Samstag und Sonntag, jeweils 19.30 Uhr

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