„Kleine Diskrepanzen gefallen uns“

FALTEN Wilfried Briest erforscht das Altern – das wir besser erfassen können als Maschinen

■ Briest, 44, ist Forschungskoordinator am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena. Zuvor war er drei Jahre am National Institute on Aging in Baltimore, Maryland. Briest ist promovierter Biochemiker und habilitierter Physiologe.

taz: Herr Briest, können Sie mit wissenschaftlichen Methoden eindeutig bestimmen, wie alt jemand ist?

Wilfried Briest: Bei der Altersbestimmung sind unsere Messgeräte dem menschlichen Geist nach wie vor unterlegen. Wir suchen zwar nach biologischen Parametern, die man zum Beispiel im Blut bestimmen kann, doch ist das Ergebnis nicht so exakt wie die Bestimmung eines Gesichts durch einen anderen Menschen. Scannt jemand sein Gegenüber mit den Augen, werden in Sekundenbruchteilen die unterschiedlichsten Informationen abgefragt und mit den eigenen Erfahrungen abgeglichen. Wie faltig ist das Gesicht, wie eingefallen sind Mund und Augen? Dabei lässt sich schwer sagen, welche Information letztlich die entscheidende ist.

Warum stören uns Falten in den Gesichtern mancher Menschen und bei anderen nicht?

Ein Gesicht besteht ja nicht nur aus Falten, sondern ist ein Gesamtensemble. Ein interessierter Blick aus den Augen fesselt uns etwa, und wenn alles zusammenpasst, empfinden wir es als schön. Oftmals sind es auch gerade kleine Diskrepanzen, die uns gefallen.

Wie hängen das gefühlte und das biologische Alter zusammen?

In der Regel geht die physische mit der psychischen Fitness einher. Jemand, der sich geistig alt fühlt, hat auch nicht die Motivation, sich zu betätigen, und als Folge daraus oft physische Beeinträchtigungen.

Warum muss man überhaupt altern?

Nach wie vor wissen wir nicht genau, wie das Altern funktioniert. Eine Theorie besagt, dass Menschen aufgrund von Schädigungen altern, die durch Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung entstehen. Außerdem sterben alte Zellen ab und werden durch neue ersetzt, die aus Zellteilung entstehen. Es wird vermutet, dass nach einer bestimmten Teilungszahl ein programmierter Zelltod einsetzt.

Gibt es eine Möglichkeit, das Altern zu beeinflussen?

Wenn wir wüssten, an welcher Schraube wir dafür drehen müssten, würden wir das auch tun. Wir haben Fische mit einer Lebenserwartung von drei Monaten mit Fischen gekreuzt, die ein Jahr lang leben. Die Lebenserwartung der Nachfahren lag im Mittel. Es muss also Gene geben, die für ein längeres Leben verantwortlich sind. Wir sind auf der Suche nach diesen Genen und wollen klären, ob Menschen tatsächlich länger leben, wenn man sie beeinflusst.

INTERVIEW: SEBASTIAN FISCHER