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: Seltsam teilnahmslos

FUSSBALL-BUNDESLIGA Alles andere als in Feierlaune: Nach der 0:2-Pleite gegen Hannover fühlt man sich bei Hertha eher frostig

Es ist eine merkwürdige Saison, denkt man so bei sich, während man in der dicht gedrängten U2, die den S-Bahn-Kunden in Zeiten des Streiks Obdach gewährt, Richtung Olympiastadion fährt. Eine denkwürdige Spielzeit, in der – von der Tabellenspitze abgesehen – alles seltsam ungeordnet zugeht. Eine Saison, in der Borussia Dortmund an diesem Wochenende zumindest zwischenzeitlich als Tabellenschlusslicht aufblinkt. Wobei, welche Spielzeit ist bitte nicht in irgendeiner Weise merkwürdig, denkt man sich dann rein fußballexistenzialistisch, denn das Unvorhergesehene und Unvorhersehbare ist doch ein wesentlicher Teil dieses auch irgendwie merkwürdigen Fußballfandaseins.

Was das mit der Hertha zu tun hat? Nun, wenn man vor der Saison über mögliche Überraschungen und Unwägbarkeiten nachdachte, hätte man vielleicht vermutet: Der Hertha könnte es in diesem Jahr gelingen, oben mitzuspielen. Dank Geldsegen hat man mit Salomon Kalou, Valentin Stocker, John Heitinga und Roy Beerens gestandene Profis mit internationaler Erfahrung geholt, und einen Taktikfuchs als Trainer hatte man mit Jos Luhukay bereits.

Nun also Abstiegskampf

Nach elf Spieltagen aber steckt die Hertha im Abstiegskampf fest, zumindest vorerst. Die 0:2-Niederlage vom Freitag gegen Hannover und 90 Minuten unansehnlicher Fußball, den die blau-weiß Gekleideten darboten, sorgen dafür, dass die Berliner nun ganz knapp vor dem Relegationsrang 16 stehen.

Im Stadion fror man zum ersten Mal während dieser Spielzeit leicht, und auch das Spiel der Hertha wirkte eingefroren, ideenlos, uninspiriert. Fahrig flottierten die Mannen von Trainer Jos Luhukay über den Platz, die wenigen Chancen waren Zufallsprodukte, die sich aus langen Bällen ergaben. Die 96er stellten zeitweilig das genaue Gegenteil dessen dar: bestens sortiert, mit zackigem Kurzpassspiel und klaren Aktionen, zweikampfstark. Sie mussten diese Qualitäten nicht mal durchgängig an den Tag legen, um Hertha zu bezwingen.

In der ersten Halbzeit sahen die 39.700 Zuschauer ziemlich genau einen echten Höhepunkt: den schönen Dropkick-Treffer von Hannovers Jimmy Briand eine Minute vor der Pause nach einer Ecke. Die zweite Hälfte war zwar unterhaltsamer – das Heimteam aber war genauso hoffnungslos unterlegen wie zuvor. Der erste Treffer Hiroshi Kiyotakes wurde nach Abseitsstellung nicht gegeben. Sein zweiter Treffer (76.) aber zählte, der hochverdiente 2:0-Sieg der Gäste war eingetütet. Für die Hertha zusätzlich bitter, dass Kapitän Fabian Lustenberger sich erneut verletzte und vier bis sechs Wochen ausfällt.

Warum kann Hertha „sein Potenzial nicht abrufen“, wie es die Spieler zuletzt in aller Regelmäßigkeit verlautbaren ließen? Nun, es fehlt am spielerischen Konzept, an Abstimmung, an Automatismen – sprich: Es mangelt an erstaunlich vielem, das man in Liga eins als Selbstverständlichkeit voraussetzen könnte. In Normalform waren am Freitag nur die Fans in der Ostkurve, die gegen Ende wirklich ihr gesamtes Potenzial abriefen und dem Schlusspfiff weitere laute Pfiffe folgen ließen.

Bezüglich der Trainer fragt man in Zeiten der Krise gerne, ob sie „die Mannschaft noch erreichen“. Daran kann man derzeit wirklich zweifeln, denn Coach Luhukay hat eigentlich eine andere Idee von Fußball als die, die seine Spieler derzeit auf den Platz bringen. In Hertha-Foren macht man derzeit einen seltsam teilnahmslosen Luhukay aus und zählt schon seine Tage als Trainer auf der Hertha-Bank. Gleichzeitig herrscht Unverständnis, dass Manager Michael Preetz zum jetzigen Zeitpunkt äußerte, Luhukay könne seinen bis 2016 laufenden Vertrag „sofort verlängern“, wenn er wolle.

Nach der Niederlage versendete der verletzte Hertha-Spieler Alexander Baumjohann via Twitter drei Emoticons mit dicken, dicken Tränen. Eine Mischung aus Wut und Enttäuschung könnte also bei der Mitgliederversammlung der Hertha vorherrschen, die am heutigen Montag in der Messehalle am Funkturm stattfinden soll. JENS UTHOFF