Halte durch, Claus!

STREIK So treiben Deutsche Bahn, Medien und Politik den GDL-Chef in die Enge. Doch Claus Weselsky steht für seine Leute im Kreuzfeuer und erträgt derzeit Unmenschliches

Was soll die Hetzjagd auf diesen Mann? Claus Weselsky, der die Interessen von Zugbegleitern und Lokführern vertritt, ist jetzt der „meistgehasste Mann des Landes“ – so nennt der Focus den GDL-Chef.

Wirklich? Vor der DB-Zentrale in Berlin sieht das anders aus. Am Potsdamer Platz versammeln sich am Donnerstag seine Unterstützer. Sie gehen für ihren Chef auf die Straße. „Der Bahn-Vorstand ist schuld an diesem Chaos“, schreit Norbert Quitter. Der 39-Jährige ist Weselskys Stellvertreter. Die 500 GDL-Mitglieder reagieren mit Trillerpfeifen und Buhrufen. Sie stimmen ihm zu. Die 34.000 GDL-Mitglieder sind sauer: In 4 Monaten wurde noch keinmal über Löhne und Arbeitszeiten verhandelt. Stattdessen wollte die Bahn das sofortige Ende des Streiks einklagen – erfolglos. Die Gerichte haben die GDL schon zum zweiten Mal in ihrem Streikrecht bestätigt. Quitter: „Wir sollen unsere Grundrechte abgeben, aber da machen wir nicht mit. Die DB will euch in den Arsch treten. Heute treten wir!“

Focus online veröffentlichte unterdessen Weselskys Wohnort und beschrieb, wie es hinter seiner Haustür aussieht. „So lebt Weselsky“, titelte das Magazin. Der 55-Jährige geriet so ins Fadenkreuz anderer Medien. Die Morgenpost etwa nötigte seiner Exfrau folgenden Kommentar ab: „Er ist ein Diktator!“

Doch bei aller Mühe: Es gibt keinen Weselsky-Skandal. „Sie haben nichts gefunden, was man mir andichten kann“, sagte der Gejagte dem ARD-Morgenmagazin. Der Lokführer ist Familienvater und lebt bescheiden zur Miete auf 60 Quadratmetern.

Weselsky ist aber auch Anführer einer Gewerkschaft, die ihre Arbeit tut: Sie kämpft und streikt. Um das schlechtzureden, bedienen sich viele Medien plumper Mittel: Aus vier Tagen Streik wurden „98 Stunden Monsterstreik“. Bild, Focus und Co. präsentieren Millionen von Lesern einen Tyrannen, der allein hinter einem angeblichen Wahnsinn steckt. Dieser Mann hält unglaublichen Druck aus. Kein Wunder, dass er sich wehrt und gegen die andere Gewerkschaft wettert. Über die Fusion von Transnet und GDBA zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG beispielsweise. „Wenn sich zwei Kranke miteinander ins Bett legen und ein Kind zeugen, da kommt von Beginn an was Behindertes raus.“ Verliert er die Kontrolle? Die Deutsche Bahn schaut genüsslich zu. Geht die Hetze zu weit? „Kein Kommentar“, heißt es auf Anfrage.

Die Gewerkschafter aber sind sich einig: „Das ist eine Hexenjagd, die da stattfindet“, sagt Carsten L., 39 Jahre alt. „Wir stehen geschlossen hinter ihm“, so der bullige Lokrangierführer. Und damit sind die Kollegen nicht allein.

Täglich schreiben unzählige Leute der GDL Mails: „Durchhalten!!!“ Weselsky ist ihr Zugpferd. Er sagt: „Die GDL braucht mich als starken Baum, der nicht wankt.“ Für das Zugpersonal bleibt zu hoffen, dass ihr Baum nicht gefällt wird.

Im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen kann Weselsky aber nicht auf die Unterstützung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft bauen. Und das, obwohl sie mit 210.000 Mitgliedern mehr als 6-mal so groß ist. „Die EVG ist sich dafür zu bequem“, wirft ihnen Quitter vor. Die GDL kämpft allein weiter. Schließlich soll auch das restliche Zugpersonal von besseren Tarifbedingungen profitieren. Doch der Focus macht keinen Hehl daraus, auf wessen Seite er steht: Mit fünf „goldenen Verhandlungstipps“ soll sich die Bahn gegen Weselsky durchsetzen – aber ist damit den Lokführern und Zugbegleitern geholfen?

SEBASTIAN KRÄNZLE, SEBASTIAN RAVIOL