Das Windrad lernt schwimmen

Eine Firma will einen mit Seilen verankerten Windrad-Prototyp vor Wismar aufstellen. Das Projekt könnte der Entwicklung von Windparks auf See einen Schub verleihen. Die neue Technik soll die Kosten kräftig senken und hat Vorteile in tiefem Wasser

Der Vertrag für die ersten sechs deutschen Windkraftanlagen in der Nordsee ist gestern in Bremerhaven unterzeichnet worden. Wie die Multibrid-Entwicklungsgesellschaft, ein Tochterunternehmen der Prokon-Nord-Gruppe, mitteilte, sollen die Windräder mit jeweils fünf Megawatt Leistung im dritten Quartal dieses Jahres im Testfeld der Stiftung Offshore-Windenergie errichtet werden. Die Anlagen sollen auf Dreibeinern in 30 Meter tiefem Wasser stehen. Die Naben der Windräder lägen 90 Meter über dem Meeresspiegel. Die Windräder wären die ersten Hochsee-Anlagen Deutschlands. Die Stiftung Offshore-Windenergie wurde gegründet, weil sich die Errichtung von Offshore-Windparks als unerwartet schwierig erwiesen hat. Anlagenbauer, Finanzierer und Netzbetreiber beschlossen deshalb, gemeinsam Erfahrungen zu sammeln. Ihr Testfeld liegt 45 Kilometer vor Borkum. Es wird von der Bundesregierung mit 50 Millionen Euro gefördert. KNÖ

VON GERNOT KNÖDLER

Die Firma Arcadis aus Sachsen hat ein schwimmendes Windrad entwickelt. Ein Prototyp soll in den kommenden Monaten zehn Kilometer vor Wismar ins Meer gesetzt werden. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hat kürzlich einen Windpark aus 80 solcher Anlagen 35 Kilometer nordöstlich von Rügen genehmigt: „Ventotec Ost 2“. Um bauen zu können, muss Arcadis allerdings nachweisen, dass die neuen Anlagen den Konstruktionsstandards des BSH entsprechen. Sollte sich die Testanlage vor Wismar bewähren, könnte sie die Entwicklung von Windparks auf See (Offshore) beschleunigen. Denn Arcadis geht davon aus, dass sich mit schwimmenden Windrädern Bau- und Betriebskosten sparen lassen.

Bis heute ist der Bau von Windkraftanlagen vor den deutschen Küsten nicht in Gang gekommen. Zwar hat das BSH bereits 16 Windparks in der Nord- und drei in der Ostsee genehmigt. Gebaut worden sind aber nur zwei Windräder in seichtem Wasser. Die Branche beklagt die hohen Kosten und Risiken. Zwar hat der Bundestag vergangenen Oktober beschlossen, die Kosten für den Anschluss der Windparks an das Stromnetz den Netzbetreibern aufzubürden.

Nach Ansicht von Branchenvertretern reicht das aber in den meisten Fällen nicht, um einen Windpark rentabel zu machen. Die Bundesregierung müsse die ohnehin schon mit einem Zuschlag versehene Vergütung für Offshore-Windstrom weiter erhöhen. Während in Deutschland neun Cent für die Kilowattstunde Windstrom bezahlt würden, seien es in Großbritannien 13 Cent, sagt Hans-Peter Waldl von der Oldenburger Beratungsfirma Overspeed. Günstigere Anlagen kämen also wie gerufen.

Die Windräder von Arcadis stehen mit drei Füßen auf unter der Wasseroberfläche schwebenden Schwimmern, so genannten Halbtauchern. Die Schwimmer werden mit Seilen oder Ketten an schweren Gewichten auf dem Meeresboden verankert. In Rede steht dabei eine Größenordnung von 1.000 Tonnen pro Anker. Das Füllmaterial für die Gewichte soll dem Meeresboden entnommen werden. „Warum sollte ich das ganze Material dorthin transportieren, wenn ich es vor Ort liegen habe“, fragt Michael Neumann, der Geschäftsführer der Arcadis Consult aus Freiberg.

Seile und Anker statt Pfeiler und Streben sparen Neumann zufolge Baumaterial – ein Argument, das angesichts stark gestiegener Stahlpreise von Gewicht ist. „Die Seile sind völlig nachrangig bei den Kosten“, sagt Neumann. Schwimmende Anlagen könnten ohne größeren Aufpreis in tieferes Wasser gesetzt werden. Ab einer Wassertiefe von 25 Metern seien sie billiger als herkömmliche Windräder.

Die Kraftwerke würden an Land vormontiert und ohne Spezialschiffe aufs Meer hinaus bugsiert. Das sei bis zu einer Wellenhöhe von drei Metern möglich, sagt Neumann. Falle eine Anlage aus, könne sie zur Reparatur ans Land geschleppt und für diese Zeit durch ein anderes Windrad ersetzt werden. Das würde die Verfügbarkeit des Windparks erhöhen und das wirtschaftliche Risiko verringern.

Neumann zufolge hat sich das Konzept in Modellversuchen im Maßstab 1 : 30 und 1 : 40 im Wellen- und Eiskanal bewährt. „Wir waren selber überrascht, wie lotrecht das System steht“, sagt er. Die Seilbefestigung wirke als Dämpfer. Weil der Pfahl des Windrades nicht zum Meeresboden reiche, sei außerdem der Hebeldruck geringer.

Overspeed-Geschäftsführer Waldl hält Neumanns Konzept für einen „interessanten Ansatz“, der aber mit einem hohen Risiko verbunden sei. Ähnlich zurückhaltend äußert sich Bernd Neddermann vom Deutschen Windenergie-Institut (Dewi) in Wilhelmshaven. Viele der von Neumann genannten Vorteile leuchten ihm ein. Auch er spricht von einer „interessanten Variante“. Mit Details habe er sich aber noch nicht befasst.

Gewissheit wird die Testanlage mit einem Vestas-V 80-Windrad bringen. Die Zwei-Megawatt-Anlage soll in 26 Metern Wassertiefe in der Lübecker Bucht verankert werden. Das Projekt sei schon vor zwei Jahren genehmigt worden, sagt Neumann, bisher aber an der Finanzierung gescheitert. Mit zehn Millionen Euro sei eine Einzelanlage zehnmal so teuer wie ein herkömmliches Windkraftwerk. Das Bundesforschungsministerium habe sich bereiterklärt, das Projekt zu unterstützen, sagt Neumann. In vier bis sechs Wochen erwarte er den endgültigen Förderbescheid. „Erst dann kann ich sagen, wo wir wirklich stehen.“

Die Anlagen im geplanten Windpark Ventotec Ost 2 sollen noch größer sein als das Pilotwindrad: Vorgesehen sind Turbinen mit einer Leistung zwischen drei und fünf Megawatt. Der Windpark soll in 30 bis 45 Meter tiefem Wasser gebaut werden und schon 2010 fertig sein. Dieser Plan ist ehrgeizig, passt aber zu den Zielen, die das Bundesumweltministerium 2001 formuliert hat: Demnach sollen zwischen 2007 und 2010 rund 2.000 bis 3.000 Megawatt Offshore-Windenergie installiert werden. Bis 2030 sollen es 20- bis 25.000 Megawatt sein.