Der Marine als Diversity Manager

Karin Gabbert zeichnet ein Bild vom Wandel der Geschlechterverhältnisse im US-Militär

VON BARBARA SICHTERMANN

Gleich vorweg: Die Dissertation von Karin Gabbert über Frauen im US-Militär, genauer: über die Wandlungen von Geschlechterkonstruktionen auf diesem Feld, ist sehr gut lesbar – keine Nebensache, wenn es um Bücher zu diesem Thema geht. Und die Autorin fördert mengenweise Neues zutage, obwohl auf diesem Sachgebiet viel los ist – in den letzten Jahren hat sich die Zahl der Texte zum Thema „Frauen und Militär“ vervielfacht. Es war klug von Gabbert, für ihre Untersuchung die militärische Hegemonialmacht unserer Zeit auszuwählen, denn in fast keiner anderen Armee gibt es so viele Frauen seit so langer Zeit (die ersten kamen schon 1973), vor allem jedoch: In keiner anderen ist der Wandel des Geschlechterverhältnisses so umfassend dokumentiert.

Verordnete Gleichstellung? Das geht nur beim Militär, und es hat Vorteile – für die Minderheiten wie für die Armee selbst und ihre Kampfbereitschaft („Readiness“). Frauen standen seit Jahrhunderten in militärischen Diensten, ohne dass an Gleichstellung auch nur gedacht werden konnte, etwa als „Trossweiber“. In der deutschen Wehrmacht war knapp eine halbe Million Frauen (den Sanitätsdienst nicht mitgerechnet) im Einsatz, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs dann sogar verstärkt an der Front. Dass sie nicht „Soldatinnen“ genannt wurden, ist Teil der Geschlechterkonstruktion – Gabbert spricht von „sozial strukturiertem Vergessen“. Auch in der US-Armee gibt es Beispiele für dieses Phänomen. Als 1990 Air-Force-Pilotinnen die bosnische Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgten und dabei feindlichem Beschuss ausgesetzt waren, wurden diese Einsätze im Nachhinein als „Hilfsmission“ deklariert. Bevor die Frauen kamen, hießen diese Manöver stets „Kampfeinsatz“. Heute liegt der Anteil der Soldatinnen in der US-Armee bei 16 Prozent. Der Organisationsforschung zufolge können Minderheiten jedoch erst ab 30 Prozent „realen Einfluss auf Organisationen erlangen“. Ist diese Quote etwa gewollt?

Die Autorin konnte zahlreiche Studien auswerten und behandelt zwei zentrale Fragen: Wie reagiert die Truppe auf die Forderung nach Gleichberechtigung, und welche Auswirkung hat dieser Anspruch auf das Selbstverständnis der Männer? Denn immerhin: Die Streitkräfte sind die letzte weltliche Bastion hegemonialer Männlichkeit, zumindest in der westlichen Welt. Das Eindringen der Frauen hat zu Irritationen und Aufregungen geführt. Das verwundert kaum, denn die Forschung über die US-Armee wies aus, „dass der Zugang zum Militär, das Funktionieren der Streitkräfte, das Führen von Kriegen sowie das Herstellen von Hierarchie innerhalb der Streitkräfte auf extreme Weise über Geschlechterkonstruktionen reguliert werden“. Machtspielräume werden auf Basis des Geschlechts erweitert, militärische Organisationen sind dafür Paradebeispiele.

Die „Verweiblichungsangst“ in den Streitkräften ist groß. Als weiblich definierte Attribute werden benutzt, um andere Männer und Frauen abzuwerten und Hierarchie zu erzeugen. Legenden und nachweislich falsche Erhebungen, etwa eine israelische, die besagt, dass der Tod weiblicher Kameraden die Psyche der Soldaten stärker belaste, werden wiederholt kolportiert, um die Integration von Frauen zu sabotieren.

In keiner Organisation gibt es mehr sexuelle Übergriffe als beim US-Militär, zugleich ist aber auch der stärkste Rückgang zu verzeichnen. Die Frage bleibt, ob das Militär männliche Normen zum Funktionieren braucht oder ob solche Normen nicht, unter den gegeben Umständen, unzweckmäßig sind. Wie die Wirtschaft setzt das Militär auf Diversity Management, auf die Berücksichtigung von Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Religion und anderer Merkmale bei Einstellung und Integration.

Ausführlich widmet sich Gabbert der Militärkultur, dem Umgang mit Homosexuellen, der Gleichstellungspolitik und der sexuellen Belästigung (Verständnis, Ausmaß, Umgang mit ihr). Im Militär sind Geschlechterkonstruktionen hochgradig wandelbar und „müssen es sein, um funktional zu bleiben. Was als funktional gilt, wird in höherem Maße gesellschaftlich ausgehandelt, als man auf den ersten Blick erkennt.“

Auslöser für den Wandel in den Streitkräften war der Tailhook-Skandal von 1991: Erstmals wurden demütigende und sonst strafbare interne Rituale dieses elitären Marine-Jahrestreffens der Öffentlichkeit bekannt. Pikant, dass nicht nur Frauen Opfer waren, sondern auch Marine-Angehörige wie Richard Nixon oder John F. Kennedy. Die Affäre drückte den massiven Widerstand von Männern gegen Frauen in der Army aus, diente aber schließlich als Vehikel zu deren Integration. Seitdem werden Frauen institutionell unterstützt (Diversity Management, Gleichstellungstrainings) und als integraler Bestandteil der Armee betrachtet. Viele tausend Frontkämpfer und Marines haben inzwischen die Ausbildung zu Gleichstellungsberatern durchlaufen, diese Kurse sind Bestandteil ihrer Karriere. Wenn sie danach ihre Laufbahn fortsetzen, diffundieren die neuen Gedanken und Einstellungen in den Korpsgeist. Wenn es so weitergeht und es keinen Backlash gibt, hat die US-Armee die Chance, zum Vorreiter von Gleichstellungspolitik überhaupt aufzusteigen.

Karin Gabbert: „Gleichstellung – zu Befehl! Der Wandel der Geschlechterverhältnisse im US-Militär“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007, 308 Seiten, 29,90 Euro