Neue Helden verzweifelt gesucht

Verdächtigungen, Geständnisse, Enthüllungen. Die diesjährige Tour die France muss damit leben, dass viele ihrer Stars irgendwann mal was Verbotenes im Blute hatten. Statt kommentierender Exprofis gibt’s nun die „Tour kulinarisch“. Das bisschen Doping kann den Radsport nicht erschüttern – oder?

VON JÜRGEN FRANCKE

Eigentlich könnte es wie immer sein. Am 7. Juli starten 21 Mannschaften mit jeweils zehn Fahrern, ZDF und ARD sind live dabei. Und wir vorm Fernseher fragen uns: Wird Jan Ullrich oder Ivan Basso das Gelbe Trikot nach Paris tragen?

Nein, diesmal ist so manches anders. Florian Naß (ARD) oder Peter Leißl (ZDF) informieren vorab über die kulinarischen Besonderheiten der Briten. In diesem Jahr wird ja erstmalig auf der Insel gestartet, in London, am Trafalgar Square. Basso? Den Italiener will der Ire Pat McQuaid, Chef des Radsport-Weltverbandes UCI, nicht starten lassen. Im Gegensatz zum CONI übrigens, dem italienischen Olympischen Komitee. Mr. McQuaid meint, er sei zehn Monate von Basso belogen worden, damit stünde dem Doping-Täter keine Sympathie zu. Ullrich? Hat sich bei seiner dummdreisten Pressekonferenz Ende Februar selbst in den Ruhestand verabschiedet.

Und nun fehlen uns die Helden. Moralisch einwandfreie Helden. Ein gewisser Floyd Landis, der im vergangenen Jahr in den Bergen auf der 17. Etappe (nach einem Totaleinbruch am Tag zuvor) mit unglaublichen 5 Minuten und 42 Sekunden Vorsprung ins Ziel kam, dieser Teufelskerl darf auch nicht mitmachen. Trotz aller Beteuerungen, nie und nimmer gedopt gewesen zu sein. Für den Amerikaner sind die positiven A- und B-Proben noch längst kein Beweis.

Auf dem Streckenplan tauchen diesmal auch Tourmalet, Mont Ventoux und Alpe d’Huez nicht auf, dafür der Col de Iseran mit der höchsten Alpenpassstraße (2.770 Meter) und der Col de Galibier (2.645 Meter). Leichter als im Vorjahr soll die diesjährige Tour sein, sagen Experten. Ein Mannschaftszeitfahren findet nicht statt, dafür zwei „contre-le-montre“ als Einzelzeitfahren. Ob die Italiener Danilo Di Luca oder Eddy Mazzoleni, immerhin überragend beim Giro d’Italia im Mai und bei diesem Streckenprofil nicht chancenlos, mitfahren dürfen? Die Dopingfahnder waren bei ihnen – Anfangsverdachte.

Wegen Verdächtigungen lief Rudolf Scharping unlängst hochrot an. Richtig sauer war der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer: „Kann man nicht aufhören, jemandem auf der Seele rumzutrampeln, jetzt reicht’s!“ Es hatte jemand gewagt, den Radfahrer Jens Vogt nach unerlaubten Mitteln zur Leistungssteigerung zu fragen. Vogt, Sprecher der internationalen Berufsfahrer, gilt als Saubermann im deutschen Radsport. Scharping, der bei seiner Verteidigungsrede selbst aussah wie gedopt, nahm damit einen Radprofi in Schutz, der im dänischen Rennstall CSC angestellt ist. Dessen Chef heißt Bjarne Rijs, gewann 1996 die Tour de France und gab kürzlich zu, in dieser Zeit systematisch EPO eingenommen zu haben.

Schwamm drüber, sind doch olle Kamellen. Alles verjährt. Mehr als zehn Jahre her. Erik Zabel, der eine einzige Woche Doping in den 90er Jahren zugegeben hatte („Weil es ging“), wurde bei seinem ersten Rennauftritt danach frenetisch gefeiert.

Wer wird also in diesem Jahr die Etappe von Marcoussis nach Paris mit einem Gläschen Schampus in der Hand bestreiten? Was bekanntlich nur der designierte Sieger darf. Der spanische Kletterspezialist Carlos Sastre? Ach, der fährt bei CSC unter Rijs. Alejandro Valverde? Oh, der soll Patient, oder besser Kunde, bei einem Dr. Fuentes gewesen sein. Dann eben doch Andreas Klöden oder Alexander Winokurow, die Doppelspitze vom kasachischen Team Astana? Das Umfeld dieses Rennstalls wird zwar auch mit Doping in Verbindung gebracht (und beide Fahrer haben eine Team-Telekom-Vergangenheit), aber beide genießen einen enormen Vorteil. In Kasachstan kümmert man sich nicht gerade auffallend um Unsportlichkeiten. Dort, wie in Italien oder Spanien, zählen Erfolge mehr als Enthüllungen.

Nur hier in Deutschland ist eine Beichthysterie ausgebrochen. Jeder, der mal mit EPO oder sonst was in Berührung kam, fordert eine eigene Pressekonferenz. Wo wichtige Fragen bisher jedoch unbeantwortet blieben: Hat der Stoff eigentlich gewirkt? Und wie war es, als er wieder abgesetzt wurde?

The show must go on. ARD und ZDF jedenfalls werden berichten. Nur die Exprofis, die Experten fehlen. Und wenn Herr Naß oder Herr Leissl dann bei der 5. Etappe ein wenig sentimental werden, wir sollten es ihnen nachsehen. Vielleicht wollen sie dann nur ein ganz klein bisschen von „Tour Kultur“ oder „Tour kulinarisch“ reden und nicht von Anfangsverdachten, Freiburger Ärzten oder neuen Kontrollinstanzen. An diesem Donnerstag im Juli geht’s nämlich los in – Chablis. Santé Tour de France.