Gemeinsam geht’s schneller

Von wegen behäbiges Fahrrad, das sich nur so in die Länge zieht. Auf den neuen Tandems lässt sich Zweisamkeit ganz rasant erleben. Weil dabei viel Masse bewegt wird, bestehen besondere Anforderungen an alle Bauteile, vor allem an die Bremsen

VON HELMUT DACHALE

Für Neulinge stellt sich das Tandem als Beziehungstest dar. Wenn der eine in die Pedale tritt, muss auch der andere die Beine kreisen lassen. Im selben Rhythmus, versteht sich. Lenken und bremsen allerdings obliegen allein dem vorderen Fahrer, dem Captain, wie er genannt wird. Wenn der nach rechts will, kann der hintere nicht nach links. Hinten hockt übrigens der Stoker, der Heizer.

Ein Fahrzeug, zu dem man überredet werden will. Seine Fans jedoch feiern seine Wiedergeburt, und das schon seit gut zehn Jahren. Auch für die wenigen Fahrradläden, die es überhaupt führen, scheint das Long Vehicle eine Herzensangelegenheit zu sein. Dort tritt der Händler als geschulter Paarberater auf, schwärmt von mitreißender Zweisamkeit. Der eine Tandempilot könne dem anderen halt nicht davonfahren, die enge Sitzordnung erzwinge geradezu den Austausch über das, was vorbeizieht.

„Rad fahren zu zweit wird erst durch ein Tandem schön“, davon ist Wolfgang Haas überzeugt. Er ist Inhaber eines Velogeschäftes in Rosenheim, importiert und vertreibt europaweit die US-Nobelmarke „Santana“. Elegante Renn- und MTB-Tandems, die mit dem schweren Doppelsitzer, auf denen einst der Schriftsteller Arno Schmidt nebst Frau durch die Heide zuckelte, rein gar nichts mehr zu tun haben.

Wie wär’s mit einem „Santana Titan“, Gestänge aus ebendiesem Material? Hat 30 Gänge, wiegt keine 15 Kilo und damit erheblich weniger als ein Hollandrad. Und kostet etwa 8.500 Euro, mit zerlegbarem Rahmen wird’s ein klein wenig teurer. Was soll’s. „Mit keinem Geld dieser Welt kann man den Spaß und die Lebensfreude einer Radtour auf dem Tandem bezahlen“, gibt Haas zu bedenken.

Der Tandemspaß kann auch deutlich billiger sein. Für unsere Testtour wählen wir die solide Mittelklasse. Einen Tourer von „Zwei plus zwei“, der schon für 2.300 Euro zu haben wäre. Dafür bekäme man immerhin eine straßentaugliche Ausstattung. Mit allem, was der Gesetzgeber verlangt. Die Nabenschaltung ist von Shimano (27 Gänge), der Rahmen aus Aluminium, das Gesamtgewicht liegt bei 24 Kilo. Unser Interesse jedoch gilt zunächst der bangen Frage: Wie kommt man damit gemeinsam in die Gänge?

Es zeigt sich, dass bereits beim Starten Absprachen und gegenseitiges Vertrauen vonnöten sind. Denn während sich der Stoker auf seinem Soziussitz niederlässt und dabei beide Füße auf die Pedale legt, sollte der Captain das Tandem mit angezogenen Bremsen in der geraden Balance halten. Alles klar? Gemeinsam fangen wir an zu treten – und fast schwankungslos setzen sich 170 Kilo in Bewegung. Keine Frage, Anfänger haben sich an einiges zu gewöhnen. Der Heizer an eine Lenkstange, die gar keine ist. Und der Captain daran, dass ihm ständig jemand im Nacken sitzt und jeder Schaltfehler von hinten kommentiert wird.

Überhaupt die Kommunikation: Man kann sich jederzeit unterhalten, sich dabei aber nie in die Augen sehen. Erinnert an das Prinzip der Therapiecouch. Doch hier – wesentlicher Unterschied – macht sich der Unterbau selbst zum Thema. Wir registrieren: kein wesentlich höherer Luftwiderstand als auf einem normalen Velo, aber doppelte Antriebskraft. Nahezu automatisch verwandelt sich das Tandem auf ebenen Landstraßen in ein Expressfahrzeug.

Um Ausflugsradler in Scharen zu überholen, muss niemand heizen im Schweiße seines Angesichts, weder Captain noch Stoker. Auch hügeliges Terrain ist leicht zu bewältigen – sofern man über 27 Gänge oder eine ähnlich breit angelegte Schaltung verfügt. Wir ahnen, warum die Tandemfreaks immer so strahlende Augen bekommen, wenn sie von ihrer rasanten Zweisamkeit erzählen.

Aber ist die auch von Dauer, rein technisch gesehen? Der Rahmen mit stark nach hinten abfallendem Oberrohr und ebenso durchgezogenem Diagonalrohr scheint vor Stabilität zu strotzen – in mancher Kurve jedoch etwas nervös mit seinem Hinterbau zu wackeln. Das sei in Wirklichkeit kein Zeichen von drohender Instabilität. „Eher so eine Gefühlssache, tritt vor allem bei Radlern auf, die zum ersten Mal umgestiegen sind“, beruhigt Klaus Scharfenberg vom Fahrradladen „Bici“ im oberschwäbischen Weingarten. Auch so ein Ort, wo man sich liebevoll um die Wiederbelebung des Tandems kümmert. „Bei einem Preis von 2.000 Euro aufwärts darf man ein Tandem erwarten, bei dem die Technik stimmt“, so der Experte. Und er fügt hinzu: „Man sollte nie vergessen, dass auf dem Tandem mehr Masse zu bewegen und mehr Masse abzubremsen ist. Insofern bestehen besondere Anforderungen nicht nur an den Rahmen, eigentlich an alle Bauteile, in hohem Maße an die Bremsen. Alles muss hochstabil sein.“

Das leuchtet ein. Denn wenn es mit den beiden Menschen auf dem Tandem klappen soll, müssen sie nicht nur einander vertrauen können. Auch dem Material, dem sowieso.