Gewerkschaften sind noch im Gipfelrausch

Eine Woche nach Heiligendamm gilt der DGB-Chef als Sieger. Denn es wird wieder über Sozialstandards geredet

GENF taz ■ Michael Sommer strahlt, als hätte er gerade eigenhändig die neoliberale Globalisierung abgeschafft. Auf der Jahreskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Genf, die gestern zu Ende ging, bekommt der DGB-Vorsitzende viel Lob von seinen Kollegen. Toll gemacht, das mit der G 8.

Während nämlich Umweltschützer und Entwicklungshelfer frustriert sind von den Ergebnissen des Gipfels in Heiligendamm, fühlen sich die Gewerkschafter als Sieger. Monatelang haben sie die Regierung bearbeitet mit ihrem Anliegen, der „sozialen Dimension der Globalisierung“. Herausgekommen sind ein paar Sätze der Abschlusserklärung, die Sommer einen „Paradigmenwechsel“ nennt.

Zum Beispiel: „Wir verpflichten uns ferner, in bilateralen Handelsabkommen und in multilateralen Gremien menschenwürdige Arbeit und die Einhaltung der Grundprinzipien der ILO-Erklärung zu fördern.“ Damit sind die sogenannten Kernarbeitsnormen gemeint: Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit, Freiheit, sich in Gewerkschaften zu organisieren, und Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz.

Als Menschenrechte gelten diese Prinzipien schon lange. Ihre Verletzung wurde allerdings bislang kaum geahndet. Das könnte sich ändern, wenn die Arbeitsnormen Einzug in die Welthandelsorganisation WTO und in bilaterale Abkommen der G-8-Staaten halten. Denn dann gilt: kein Handel ohne Arbeitsstandards. Wird ein Produkt etwa im Ausland mit Kinderarbeit hergestellt, muss man es nicht auf den eigenen Markt lassen.

Vor acht Jahren in Seattle hat das Thema noch die Welthandelskonferenz platzen lassen. Der Verdacht der Entwicklungsländer: Der Norden will die Arbeitsstandards nur als Hebel, um seine Märkte vor den Billigprodukten des Südens abzuschotten. Entwicklungsökonomen empfinden den neuen Vorstoß der G 8 noch immer als anmaßend: „Niemand hat etwas gegen Kernarbeitsnormen – aber man kann doch nicht den Entwicklungsländern ihre Marktchancen kaputtmachen“, sagt Heiner Flassbeck, der für die UN-Wirtschaftsorganisation Unctad Entwicklungsländer berät. Sein Argument: Steigen die Ausgaben für soziale Sicherheit stärker als die Produktivität eines Landes, schadet das der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. David Dorkenno, Gewerkschaftler aus Ghana, hätte allerdings nichts dagegen, wenn die Kernarbeitsnormen auch in seinem Land gelten würden. „Wenn sich die WTO dafür öffnet, würde das der Gewerkschaftsfreiheit und dem Kampf gegen Kinderarbeit in meinem Land sehr helfen.“

Ein Grund dafür, dass das Thema salonfähig wurde, ist China. Denn nicht nur in den USA und Europa, auch in Entwicklungsländern macht man sich Sorgen vor der chinesischen Billigkonkurrenz. Dorkenno glaubt: „Die G 8 macht das, weil sie dann die chinesischen Produkte raushalten kann, die mit Kinderarbeit hergestellt worden sind.“ DGB-Chef Sommer dagegen hält den Protektionismus-Vorwurf für falsch. „Die G-8-Staaten haben erkannt, dass die Globalisierung in einer Legitimationskrise ist. Jetzt wollen sie diese Krise überwinden.“ NIKOLAI FICHTNER