Klicken als Ersatzhandlung

NETZDEMOKRATIE (1) Meinungsäußerungen per Mausklick signalisieren kein erhöhtes politisches Bewusstsein. Unterm Strich schaden sie der Demokratie

■ ist Vertretungsprofessor für Demokratieforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Infos unter www.salzborn.de

■ Die Netzaktivistin Franziska Heine wird auf diesen Beitrag antworten.

Das Internet als Medium ist geradezu prädestiniert dafür, demokratische Partizipationsmöglichkeiten auszuweiten und zu vertiefen. Auf den ersten Blick leuchtet dieses Argument sofort ein. So finden sich auch in sozialen Netzwerken wie Facebook unzählige Gruppen, in denen man per einfachem Mausklick seine Zustimmung oder Ablehnung zu politischen Vorstellungen signalisieren kann. Auch die Möglichkeit, Onlinepetitionen zu initiieren und nach MitstreiterInnen zu suchen, die durch einen Klick das Anliegen unterstützen, erfreut sich wachsender Beliebtheit. Nur: Kristallisieren sich im Internet denn tatsächlich neue Formen von Partizipations- und Beteiligungsmöglichkeiten, die der vielfach attestierten „Politikverdrossenheit“ entgegenwirken könnten?

Nein! Die unzähligen Möglichkeiten, im Internet seine Zustimmung zu politischen Konzepten durch einen Mausklick zu artikulieren, erhöhen nicht das Maß an politischer Partizipation, sondern verstärken im Gegenteil Frustrationen und die Apathie der BürgerInnen gegenüber ihren demokratischen Institutionen.

One Click – No Vote

Dass das Verfahren des „One Click No Vote“ der Demokratie mehr schadet als nutzt, ist natürlich eine erklärungsbedürftige These. Denn es ist ja richtig, dass die hochgebildeten, politisch engagierten und in die öffentlichen Debatten involvierten BürgerInnen durch das Internet dazugewinnen. Ihnen eröffnen sich größere Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten, ebenso wie die Effizienz politischen Handelns steigt.

Allerdings nutzen diejenigen, die klar sehen, dass das WWW nicht die Welt und damit auch immer nur eine Ergänzung zu tatsächlicher Politik sein kann, das Netz anderes als die, welche die Grundprinzipien demokratischer Partizipation nicht hinreichend zu reflektieren in der Lage sind.

Oft verbindet sich mit dem Anklicken einer Facebook-Seite der irrige Glaube, dieser Vorgang selbst sei partizipativ – und nicht nur Ausdruck bestimmter Überzeugungen und Sympathien. Dass in der mit einem Mausklick erledigten Zustimmung zu einem bestimmten Politikziel zwar eine soziale Handlung im Sinne einer Interaktion und Vernetzung mit anderen Menschen, allerdings kein politischer Akt im Sinne einer relevanten Willensäußerung liegt, wird dabei übersehen.

Die abertausend Facebook-Gruppen interessieren im Regelfall nicht nur niemanden, sondern können aufgrund ihrer Masse und Unstrukturiertheit, aber vor allem wegen ihrer strukturellen Distanz zum politischen Prozess selbst auch niemanden interessieren, der an realen politischen Entscheidungsprozessen mitwirkt.

Meinung im Bekanntenkreis

Begreift sich ein Onlineaktivist als politisch aktiv und muss zugleich feststellen, dass sein Scheinhandeln keine Konsequenzen zeitigt, dann führt diese Ernüchterung zu Frustrationen und zu einer Zunahme der Unzufriedenheit über das politische System selbst.

Es ist eine Form von Scheinpartizipation, die genau das Bild „Die da oben machen ja eh, was sie wollen“ weiter bestätigt, weil es Frustrationserfahrungen produzieren muss – eben weil politisches Handeln suggeriert wird, letztlich der „Erfolg“ aber nur darin besteht, sich innerhalb eines überschaubaren Bekanntenkreises darüber zu vergewissern, mit wem man Ansichten teilt und mit wem nicht.

Während in derartigen One-Click-No-Vote-Verfahren Politik vorgetäuscht wird und damit Frustrierungen einhergehen, die auf einer individuellen Ebene Ablehnungen von demokratischer Realpartizipation befördern können, stellt das Medium der Onlinepetition darüber hinaus noch eine strukturelle Überforderung von Demokratie dar. Strukturelle Überforderung deshalb, weil neben den – selbstredend im politischen System vorgesehenen und auch schon in der Zeit vor der Existenz des Internet möglichen – Petitionen die Hoffnung geweckt wird, dass durch einen die persönliche Faulheit fördernden Vorgang, das Sitzen vor dem PC, bereits politische Aktivität entfaltet würde.

Auch hier bekommen wieder die politisch sowieso bereits Engagierten ein nützliches Instrument an die Hand, ihre Aktivitäten zu effektivieren. Die Ungebildeten missverstehen dagegen Onlinepetitionen als eine Form von direkter Demokratie, bei der jedeR in scheinbar allmächtiger Omnipotenz das egoistische Eigeninteresse in den politischen Prozess einspeisen kann. Es entsteht der Eindruck, man könnePolitikerInnen vom heimischen Schreibtisch aus fernsteuern.

Twittern weckt die Illusion, Bürger könnten Politiker mit ihrer Privatmeinung steuern

Gefühlte Einflussnahme

Insofern stehen den erfolgreich realisierten Onlinepetitionen eine große Zahl erfolgloser Versuche wenig informierter BürgerInnen gegenüber, die hoffen, ihre persönlichen Meinungen auf diesem Weg politisch durchsetzen zu können, ohne dafür wirklich etwas tun zu müssen.

Das zentrale demokratietheoretische Problem besteht dabei darin, dass Erwartungen an das politische System geweckt werden, die dieses strukturell nicht nur nicht erfüllen kann, sondern auch nicht erfüllen darf: denn könnte jedeR geradezu willkürlich seinen Willen durchsetzen, wäre dies faktisch eine Form autoritärer Herrschaft. Die Crux ist, dass das Medium der Onlinepetition nur in Gesellschaften als struktureller Zugewinn wahrgenommen werden kann, die bereits über ein hohes Maß an politischer Aktivität auf der Basis von intensiver politischer Informiertheit verfügen, dann allerdings gleichsam fast überflüssig wäre.

Ein Nebeneffekt der für die breite Masse der Bevölkerung lediglich als Surrogat existierenden Onlinepartizipationsmöglichkeiten ist, dass die konventionellen Partizipationsmöglichkeiten weiter unattraktiv gemacht werden und stattdessen PolitikerInnen immer mehr Engagement in ihre Onlineaktivitäten investieren, die aber in die gleiche Frustrationsspirale einmünden: denn die PolitikerIn, die offenbar jederzeit verfügbar ist, also der Idealtyp des 24 Stunden twitternden Abgeordneten, überschüttet zwar die Welt mit (häufig belanglosen) Informationen, weckt aber zugleich die Hoffnung, man könne mit seiner persönlichen Meinung Einfluss auf ihr Verhalten nehmen, ja dass PolitikerInnen und BürgerInnen auf Augenhöhe agierten. SAMUEL SALZBORN