„Ich steh immer noch auf Berlin“

Annette Humpe & Adel Tawil

„Bei einem Projekt, bei dem ich selbst singe und alle Texte schreibe, verkaufe ich auch ein Stück von mir mit. Wenn ich produziere, bin ich hingegen wie ein Therapeut, ein Arzt, eine Mutter für den Künstler“

„Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin!“ Diese inoffizielle Hymne auf das eingemauerte Westberlin sang Annette Humpe in den frühen 80er-Jahren mit ihrer Band „Ideal“, einer der bekanntesten Gruppen der Neuen Deutschen Welle. Nach 20 Jahren Bühnenabstinenz stellte sie sich mit dem 28-jährigen Sänger, Hiphop-Produzenten und Ex-Boygroup-Mitglied Adel Tawil wieder ins Rampenlicht: als „Ich+Ich“ mit melancholischem Soul-Pop. Seine Stimme bestimmt die meisten Lieder. Nach dem überraschend erfolgreichen Debüt 2005 erscheint Ende Juni mit „Vom selben Stern“ das zweites Album des Duos. Dabei mag die 56-jährige gebürtige Herdeckerin Annette Humpe das Rampenlicht eigentlich überhaupt nicht

INTERVIEW ERIK HEIER

taz: Frau Humpe, Ich+Ich spielt demnächst auf Festivals – aber ohne Sie. Wieso das denn?

Annette Humpe: Ich bin genug getourt in meinem Leben. Ich halte mich auch nicht für eine gute Frontfrau. Vor den Auftritten kriege ich Lampenfieber, dass der Arzt kommen muss. Bei „Ideal“ habe ich mich auch immer hinter dem Klavier unter meiner Mütze versteckt. Außerdem habe ich meinen 15-jährigen Sohn, der wohnt vielleicht noch vier oder fünf Jahre bei mir. Die Zeit möchte ich lieber mit ihm verbringen.

Herr Tawil, versuchen Sie noch, Ihre Mitmusikerin zu überzeugen?

Adel Tawil: Absolut. Ich finde sie großartig auf der Bühne.

Humpe: Ich will das nicht mehr diskutieren. Das ist wirklich keine Koketterie. Ich fühle mich total wohl im Studio, ich bin superglücklich, wenn ich am Klavier ein Stück entwickele. Aber ich bin unglücklich auf Touren.

Frau Humpe, Sie sind jetzt 56 Jahre alt. Fragt Ihr Sohn Anton manchmal: Mama, was tust du dir da noch an?

Humpe: Nein, der ist da ganz entspannt. Sein Schlagzeuglehrer hat ihn mal nach Hause gefahren, im Radio lief ein Lied. Der Schlagzeuglehrer sagte: „Hör mal, deine Mama.“ Später hat mich Anton gefragt: „Sag mal, hast du mal ein Stück gemacht, das ‚Eiszeit‘ hieß?“

„Eiszeit“ war 1981 ein „Ideal“-Hit. Den kannte er nicht?

Humpe: Wir hören zu Hause nicht meine alten Sachen.

Aber Sie haben schon in Ihrer Charlottenburger Wohnung die Platinplatten von damals?

Humpe: Die hängen an der Treppe, von der man in mein Studio kommt – der unauffälligste Platz meiner Wohnung.

Sind Sie nostalgisch veranlagt?

Humpe: Überhaupt nicht. Aber soll ich die Platten wegschmeißen? Sie sind ein Teil meiner Geschichte. Es gibt auch Leute, die damit ihr Klo dekorieren. Aber ich freue mich über meinen Erfolg.

Sie sind 1974 aus Köln am Bahnhof Zoo in Berlin angekommen.

Humpe: Mein Lieblingsbahnhof, immer noch. Wenn ich da mit der S-Bahn durchfahre, denke ich: Ach, der arme Bahnhof Zoo. Wie verwaist der daliegt.

Ihre Texte bei „Ideal“ waren voller Wut, Aggression, Overdrive. „Komm, wir lassen uns erschießen, an der Mauer Hand in Hand“, heißt es 1981 in „Erschießen“. Jetzt kommt mir Ihre Lyrik viel melancholischer vor.

Humpe: Das stimmt so nicht. „Eiszeit“ zum Beispiel ist auch total melancholisch. Ich war immer so. Damals aggressiver, sicher. Aber da war ich 29. Jetzt bin ich 56 und Mutter. Mich interessiert jetzt das Verbindende und Tröstende viel mehr.

Würde sich die Annette Humpe von heute mit der von damals verstehen?

Humpe: Natürlich. Ich würde ihr sagen: „Mensch, entspann dich. Ist doch alles okay. Beruhige dich. Alles nicht so schlimm. Gegen was kämpfst du denn?“

Das klingt, als würden Sie die alten Kämpfe gegen das spießige Establishment nicht mehr so ernst nehmen.

Humpe: Falsch. Es gibt kein einziges Stück, für das ich mich schäme. Ich weiß, wer ich damals war. Das war alles ernst gemeint. In keinem Lied von mir ist auch nur die leiseste Spur Ironie. Ich meine es immer so, wie ich es sage.

Aber etwas ist heute anders.

Humpe: Wir waren damals wilder. Es war eine andere Zeit, wir hatten weniger Ängste. Wenn man Abitur hatte, hat man sich nicht gefragt: Studiere ich jetzt oder was? War mir doch völlig egal. Ich hatte überhaupt keine finanziellen Bedürfnisse. Ich konnte mit 400 Mark leben, mein WG-Zimmer kostete 100, ich habe gekellnert und Klavierunterricht gegeben. Ich brauche immer noch kein Auto und keine tollen Klamotten. Heute sind die Bedürfnisse ganz anders, und die Gier auf Markenartikel ist riesig. Da hätten wir damals abgekotzt. Ich hätte doch keine Marke getragen.

Tawil: Heute ist es heftiger. Die Kids wollen schnell nach oben, schnell Kohle machen. Ich kenne keinen, der in einer WG wohnt.

Humpe: Doch, mich. Wenn mein Kind aus dem Haus ist, mache ich wieder eine WG auf.

Frau Humpe, verlassen haben Sie Berlin damals kurz vor dem Mauerfall.

Humpe: Ich bin gegangen, wie man aus einer Beziehung flüchtet. Da lebte ich seit 14 Jahren in Berlin. Ich konnte nicht mehr in meine Kneipen gehen, da saßen immer dieselben Leute und erzählten mir, was sie alles machen wollten. Machten sie aber nicht. Davon hatte ich genug. Ich wollte mal im Ausland leben. Kaum war ich in London, fiel die Mauer. Da war ich aber zu stolz, gleich wieder zurückzukommen. Also bin ich nach Hamburg und habe ein Label gegründet.

Aber Sie kamen dann doch 2002 zurück.

Humpe: Dann hatte ich wiederum von Hamburg die Nase voll und dachte: Jetzt will ich wieder zurück. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich wieder in Berlin bin. Ich gehe hier nie mehr weg. Jetzt bin ich mit Berlin verheiratet.

Haben Sie bei Ihrer Rückkehr mit Berlin gefremdelt?

Humpe: Gar nicht. Ich kam zurück in eine mir vertraute Stadt und gleichzeitig in eine völlig neue. Das hat man nirgendwo anders auf der Welt. Ich bin durch den Osten gelaufen, habe mir alles angeguckt. Meine Schwester wohnt in Mitte, die hat mir viel gezeigt.

Werden Sie heute in der Stadt noch erkannt? Oder eher mit Ihrer jüngeren Schwester Inga verwechselt, die Ihnen sehr ähnlich sieht und mit der Gruppe 2raumwohnung seit einiger Zeit erfolgreich ist?

Humpe: Natürlich sagt manchmal jemand auf der Straße zu mir: „Ach, 2raumwohnung, die Platten habe ich ja zu Hause.“ Je nachdem, wie ich drauf bin, antworte ich: „Freut mich“, oder: „Das bin ich doch gar nicht, Sie verwechseln mich.“

Aber es nervt nicht?

Humpe: Nein, ist schon okay.

Sie beide haben ja anfangs gemeinsam bei den Neonbabies gespielt, Ende der 80er-Jahre mit „Humpe & Humpe“ noch einmal. Wie ist ihr Verhältnis als Musikerinnen?

Humpe: Ich würde sagen, sportliche Konkurrenz. Die lässt aber immer mehr nach. Früher war das heftiger. Als wir jünger waren, haben wir mehr konkurriert. Und ich freue mich wirklich sehr über Ingas Erfolg.

Danach haben Sie sehr erfolgreich als Produzentin gearbeitet: für Rio Reiser, Lucilectric, Die Prinzen. Was ist jetzt, mit Ich+Ich, anders?

Humpe: Bei einem eigenen Projekt, bei dem ich selbst singe und alle Texte schreibe, verkaufe ich auch ein Stück von mir mit. Wenn ich produziere, bin ich wie ein Therapeut, ein Arzt, eine Mutter für den Künstler. Als Produzent habe ich eine dienende Rolle. Jetzt rennen wir beide, Adel und ich, nach vorn.

Wie kam es dazu?

Humpe: Als ich zum ersten Mal seine Stimme hörte, fand ich sie sehr bemerkenswert. Da dachte ich: Mit dem mache ich mal ein Album. Er sagte: „Dann musst du aber auch singen.“ Mit einem Mal war es unser Projekt. Also musste ich wieder an die Öffentlichkeit. Und ich kann Ihnen noch mal versichern: Das ist nicht meine schönste Beschäftigung.

Tawil: Wir haben uns in meinem Trackworks-Studio kennengelernt, das ich seit 2000 habe. Annette hatte ein Stück für einen Fernsehfilm geschrieben.

Humpe: Er hat es arrangiert, und ich habe gemeckert.

Tawil: Ich kannte sie ja nicht und dachte: Was will die?

Humpe: Am meisten hat er Respekt bekommen, als er mitbekommen hatte, dass ich mit Rio Reiser gearbeitet hatte. Er wusste nicht, dass ich bei Ideal war.

War da Ihr Ego verletzt?

Humpe: Ach nein. Ich arbeite ja an meinem Ego, habe es schwer unter der Lupe und beobachte es kritisch, wenn es sich aufpusten möchte und schreien will: Jaaaa, ichhhhhh!

Wie entspannen Sie sich?

Humpe: Mit Joga. Und auf Flohmärkten. Ich finde es immer noch toll, ein Schnäppchen zu machen. Das ist aus der Zeit übrig, wo ich kein Geld hatte. Der Flohmarkt am Mauerpark ist der Hammer.

Welche Reaktionen auf die neue Platte wünschen Sie sich?

Humpe: Ich möchte Leuten die Hand auf die Schulter legen. Dass sie weinen und sagen: Ja, so geht’s mir auch. Nach unserem ersten Album schrieben uns Leute, dass sie auf der Autobahn rechts ranfahren mussten, weil sie so geheult haben.

Tawil: Ich bin bei den Texten, die ja alle Annette schreibt, zum Teil auch der Hörer. Ich spüre sie als Erster, direkt und unverfälscht. Dann weiß ich: Der Text geht voll rein. Dann erhoffe ich mir, dass ich das so rüberbringe, dass es den Leuten draußen genauso geht wie mir.

Ein Liebeslied wie das neue „Wenn ich tot bin“ zu singen, kann ja für einen 28-Jährigen nicht ganz leicht sein.

Tawil: Es kostet Überwindung. Meine Mutter kann zum Beispiel den Song gar nicht hören.

Humpe: Der Tod ist viel zu tabuisiert. Irgendwann werde ich mal ein Album nur über den Tod machen.

Frau Humpe, Sie beschäftigen sich stark mit Buddhismus. Wahrscheinlich wird man damit auch gelassener.

Humpe: Das stimmt zwar. Aber an meiner Gelassenheit muss ich noch arbeiten. Da ist Adel mir schwer voraus. Der ist naturgelassen. Ich verliere immer noch ganz schnell die Geduld und werde wütend.

Sie selbst singen auf dem Album mit „Schütze mich“ ein Lied, das sich gut in einer Kirche machen würde. Woher kommt dieses Sakrale?

Humpe: Ich bin damit aufgewachsen. Meine Mutter war Kirchenorganistin, sie hat auf Hochzeiten und Beerdigungen gespielt. Als ich 14 oder 15 war. Dann habe ich das selbst manchmal gemacht. Da kriegte man zwölf Mark und spielte drei Lieder bei einer Beerdigung auf dem Harmonium. Ich haue Ihnen jedes Kirchenlied sofort heraus.

Ihre Texte kreisen sehr um Liebe und Verlassenwerden.

Humpe: Mehr die kosmische Liebe als die zwischen Mann und Frau.

Politik fehlt aber fast völlig.

Humpe: Ich singe doch auch „Hör auf zu konsumieren“. Was soll ich sonst singen: Wie ich Angela Merkel finde?

Manche machen das. Auf Anti-G-8-Konzerten zum Beispiel.

Humpe: Das überlasse ich anderen. Dieses Anti, dieses Gegen, dieses Dissen. Auf Dissen habe ich überhaupt keine Lust. Das macht nur schlechtes Karma.

Eine buddhistische Erkenntnis?

Humpe: Ja. Früher habe ich alles gedisst, was mir im Weg stand.

Wie kamen Sie überhaupt zum Buddhismus?

Humpe: Er kam zu mir. Über zehn Jahre. Ich war viel in Indien. Jetzt tauche ich da richtig ein.

Für Ihre weitere innere Beruhigung besteht also Hoffnung.

Humpe: Jawohl. Dafür ist gesorgt.