: Grimmes Krimskramskiste
Morgen wird wieder der Grimme Online Award verliehen. Der bekannteste deutsche Internetpreis braucht dringend verfeinerte Preiskategorien, um auch kleinen Onlineangeboten gerecht zu werden
VON MARTIN SCHÖB
Wenn eine Gesellschaft für nichts weniger als „Medien, Bildung und Kultur mbH“ einen Preis in fragwürdiger Schreibung und Namensgebung auslobt, reicht das bestenfalls für den kleinkarierten Anfang eines Zeitungsartikels.
Aber der Grimme Online Award, Deutschlands bekanntester Internetpreis, der am Mittwoch in Köln zum siebten Mal verliehen wird, hat derzeit noch ganz andere Probleme: Ende Mai ergänzte die Jury die bereits von einer Nominierungskommission benannten zwanzig Kandidaten um drei weitere Websites. In der damit ausgelösten Debatte hat das Ansehen des Preises erheblich gelitten. Denn einer der drei Nachrücker ist der „Elektrische Reporter“, ein von Mario Sixtus für Handelsblatt.com produzierter Video-Podcast.
Das wöchentliche Film-Interview mit allerlei Internetprominenz ist originell und informativ und nimmt locker die Hürde der Anforderungen des Grimme-Preises. Wenn nur Sixtus nicht Jurymitglied gewesen wäre, als sein Podcast in die illustre Endrunde aufgenommen wurde. Zwar gestehen die Statuten des Preises der Jury Nachnominierungen ausdrücklich zu. Es fragt sich nur, warum eigentlich, denn auch die vorgeschaltete Kommission ist mit Fachleuten besetzt. Und die hatten aus über 1.300 eingereichten Vorschlägen schon eine hervorragende Auswahl getroffen, die mehr als genug preiswürdige Websites enthielt. Konkrete Gründe für eine in diesem Fall dringend notwendige Nachnominierung sind also nicht zu erkennen. Es sei denn, die Jury wollte dem Vorwurf der Orientierungslosigkeit begegnen, der womöglich erhoben worden wäre, hätte sie eine Website übersehen, die im laufenden Jahr bereits zwei Auszeichnungen eingeheimst hat.
Statt die Nominierung dankend abzulehnen und Jurymitglied zu bleiben, hat sich Mario Sixtus für den umgekehrten Weg entschieden und die Jury verlassen. Auch hier wurden die Statuten also nicht verletzt, wie Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, in einer Stellungnahme schreibt. Das stimmt, spricht aber umso klarer gegen die Statuten. Jetzt können alle Beteiligten nur noch schlecht aussehen, egal wer schließlich die Trophäen bekommt. So darf man sich bei Grimme über die heftigen, teils überkandidelten Reaktionen im Web nicht wundern. Man muss den an Verschwörungstheorien grenzenden Konstruktionen nicht folgen, aber der Hinweis, dass schon eine Nominierung hier und da hilfreich sein kann, ist nicht aus der Luft gegriffen. Und über die Schnittmengen zwischen Nominierten, Preisträgern, Jury- und Kommissionsmitgliedern würde sich in Liechtenstein sicher niemand wundern, wohl aber im bevölkerungsreichsten Land Europas.
Für den nächsten Wettbewerb will das Grimme-Institut laut Uwe Kammann denn auch „eine Änderung des Statuts erörtern“. Bei der Gelegenheit könnte man gleich über eine erweiterte, verfeinerte und dann hoffentlich auch dauerhafte Gestaltung der Preiskategorien nachdenken. Die diesjährige Nominierungskommission hat dazu bereits einen Anstoß gegeben, indem sie mit der Musikplattform Last.fm bewusst ein Angebot aufgenommen hat, das sich nicht recht einfügen will in das grobe und zu sehr an traditionellem Publizieren orientierte Raster von „Information“, „Wissen und Bildung“, „Kultur und Unterhaltung“. Gleichzeitig fordert sie vom Web mehr Experimente, mehr Interaktivität, mehr für Augen und Ohren, ohne die Inhalte zu vernachlässigen. Dann muss sie sich aber auch selbst mehr trauen und weniger auf solide Angebote etablierter Medien setzen.
Außerdem: Von Ein-Mann-Unternehmungen wie Stefan Niggemeiers Medien- oder Patrick Gensings NPD-Blog sollte und muss man keine klickbaren Grafiken und aufwändigen Illustrationen erwarten. Deswegen gehören derlei Nominierungen nicht in die Kategorie, in der zuvor ressourcenstarke Angebote wie Spiegel Online oder jetzt.de gewonnen haben.
Es müssen ja nicht gleich Dutzende Kategorien werden wie bei den wuchernden Webby Awards, doch Blogs und Podcasts würden mit eigenen Kategorien angemessen repräsentiert. Und wie wäre es außerdem mit einer Differenzierung nach Altersgruppen und einer eigenen Kategorie für Kinder-Websites?
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