Nachbarn wider Willen

ASYL In Berlin sollen sechs Containerdörfer für Flüchtlinge entstehen – teilweise gegen den Willen der Anwohner. Wie lebt es sich in einem Viertel, in dem man nicht erwünscht ist? Ein Streifzug mit Cela Ibramovic, Einwohnerin einer Köpenicker Flüchtlingsunterkunft

„Die Beschimpfungen reichen. Dem will ich mich nicht aussetzen“

CELA IBRAMOVIC

VON LAURA MESCHEDE

Ein Betonblock in Köpenick, graue Platte, blumen- und farblose Balkone. Das Wohnheim für Flüchtlinge im Allende-Viertel I. Cela Ibramovic steht vor dem Eingang und raucht eine Zigarette. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst.

In den nächsten Wochen soll in Köpenick eine Containerunterkunft entstehen, bis zu 400 Flüchtlinge sollen dort im Dezember einziehen. Die Anwohner sind wenig erbaut: Diverse Zeitungen berichten von Protesten gegen den Bau, eine Unterschriftenliste wurde dagegen gestartet, die Wut ist groß. Das Viertel sei viel schöner gewesen, als dort noch keine Flüchtlinge gewohnt hätten, zitiert der Tagesspiegel einen Anwohner, im Deutschlandfunk tut ein anderer die Befürchtung kund, die Flüchtlinge könnten anfangen, Kinder zu überfallen.

Die Sammelunterkunft, in der Cela Ibramovic lebt, ist nur 500 Meter Luftlinie von den geplanten Containerdörfern entfernt. Die Anwohner, die jetzt Medienvertretern von ihrer Angst vor kriminellen Flüchtlingen berichten, sind ihre Nachbarn.

Wie lebt es sich in einem Viertel, in dem man nicht erwünscht ist? Woher kommt die Ablehnung der Anwohner gegen die Flüchtlinge? Eine Spurensuche von der Sammelunterkunft bis zum Container-Standort.

Die Blicke, einfach überall

Cela sagt: Die Leute hier sind gemein. Sie gucken dich schräg an. Nicht überall, nur hier. Wenn du aus Köpenick rausfährst, dann sind die Leute anders, irgendwie besser. Aber hier sind diese Blicke einfach überall.

Cela, 26, ist in Berlin aufgewachsen, ihr Deutsch ist klar und akzentfrei. Ihre Eltern kamen als Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Berlin. Vor neun Jahren ist sie zurück nach Serbien gegangen, der Liebe wegen. Und dann doch wieder zurückgekehrt. Weil das Leben in Serbien als Rom unerträglich ist. Und weil sie eine Zukunft für ihre Kinder wollte. Cela läuft mit schnellen Schritten, die Arme eng an ihren Körper gepresst. Vor dem Lidl im Gebäude neben ihrer Unterkunft bleibt sie kurz stehen.

Cela: Einmal wollte ich einfach nur kurz Brot holen hier im Lidl. Aber der Security-Mann hat mich nicht reingelassen. Er hat gesagt, Bewohner des Heims dürften hier nicht rein, weil unsere Kinder immer klauen würden. Der stand da mit ausgebreiteten Armen vor uns und hat gerufen „Ihr kommt hier nicht rein!“ Und dann ist auch noch ein Mann gekommen, der grade da eingekauft hatte, und hat von der Seite „Scheiß Ausländer!“ gebrüllt. Ich kaufe trotzdem noch im Lidl ein, seitdem hat auch niemand mehr versucht, mich daran zu hindern. Aber trotzdem, das war hart.

Hinter dem Lidl wird die Umgebung ein bisschen grüner, die Häuser farbiger, Plattenbauten mit bunten Balkonen. Um den Häuserblock herum verläuft eine Parkanlage mit Spielplatz. Sandkasten, Rutschen und eine Schaukel, dazu ein paar Bäume. Die Anlage wird von einem Zaun eingegrenzt, sie ist menschenleer.

Cela: Wir dürfen nicht hier auf den Spielplatz. Die Leute fangen sofort an, aus dem Fenster zu schreien. „Raus, das ist privat!“, wenn man die Anlage betritt. Ich bin hier mal mit meinen Kindern hingekommen, damit sie mit den anderen spielen können. Aber die Leute haben sofort angefangen, uns anzuschreien. Da sind wir wieder gegangen. Meine Tochter hat das nicht verstanden, sie ist ja erst sechs. Ich habe ihr dann erklärt, dass wir hier nicht spielen dürfen, weil wir Ausländer sind.

Eine Frau Ende 30 kommt aus der Anlage und läuft an Cela vorbei. Sie hat kurze blonde Haare, trägt eine lila Daunenjacke und pinkstichigen Lippenstift. Als wir sie auf das Spielverbot ansprechen, wirft sie einen irritierten Blick in Richtung des Spielplatzes.

Die Anwohnerin: Mir war nicht klar, dass die Kinder aus dem Flüchtlingsheim hier nicht spielen dürfen. Aber ich weiß, dass nur Leute mit Schlüssel hier in die Anlage kommen. Für mich wäre es kein Problem, wenn die Kinder auch hier spielen würden. Ich meine, das sind doch auch Menschen. Die gehen auch hier auf die Schule, und ich weiß von den Lehrern, dass das eigentlich gut läuft. Wobei: Bei der Schulveranstaltung, da waren auch Eltern, die wollten dann ihr Kind woanders einschulen, damit es nicht mit Ausländern in eine Klasse geht. Ich kann das überhaupt nicht verstehen, ein Kind lernt doch super viel dadurch, dass es mit Kindern, die eine andere Nationalität haben, in eine Klasse geht.

Wie es denn so sei in dem Flüchtlingsheim, fragt dann die Anwohnerin, die – obwohl sie nebenan wohnt – von der Sammelunterkunft bisher noch nicht viel mitbekommen hat. Kurz darauf sind die beiden Frauen in ein intensives Gespräch vertieft. Sie sind beide alleinerziehend, stellen sie fest, Cela möchte Krankenpflegerin werden und die Anwohnerin warnt vor Schichtarbeit, weil das mit Kindern so anstrengend sei. Von den Containerdörfern hat sie bisher nichts mitbekommen, aber sie stört sich auch nicht daran. „Ich muss echt sagen: Respekt, wie Sie das schaffen“, sagt die Anwohnerin.

Cela beginnt lautlos zu weinen. Energisch wischt sie die Tränen mit ihrer Hand fort. Nach ein paar Minuten Smalltalk verabschiedet sich die Frau, sie muss weiter. „Ich wünsche Ihnen alles Gute!“, sagt sie noch. „Vielen Dank!“, antwortet Cela. Sie hat noch immer Tränen in den Augen.

Cela: So ein Gespräch wie das mit der Frau gerade habe ich hier noch nie geführt. Aber ich habe auch allgemein noch nicht so viel mit den Anwohnern hier zu tun gehabt.

Ein paar Straßen weiter, vorbei an kleinen Häusern mit gepflegten Gärten, Blumenbeeten und Apfelbäumchen, dominieren wieder Glas und Beton. Grünfläche zur Linken, ein Parkplatz zur Rechten. Auf dem schmalen Weg dazwischen kommt uns ein Mann um die 50 entgegen. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und eine dunkle Cap. In seiner Hand eine verborgenen Zigarette, intensiver Marihuanageruch steigt auf.

Der Anwohner sagt: Ich bin nicht begeistert von den Containern. Hier ist immerhin eine Grundschule gleich ums Eck. Und, seien wir mal ehrlich: Man weiß ja nie, was für Leute dann da einziehen. Den Sportplatz wollen sie auch plattmachen für die Container. Zudem habe ich gehört, dass die immer ziemlichen Lärm machen, und das ist als Schichtarbeiter, der nebenan wohnt, echt schwer zu ertragen. Ich meine, Kriegsflüchtlinge, okay, aber Wirtschaftsflüchtlinge: Nein danke!

Der Mann in dem schwarzen Kapuzenpulli verschwindet um die Ecke, Cela blickt ihm kopfschüttelnd hinterher.

Cela: So was habe ich schon oft gehört. Teilweise rufen mir das Leute auf der Straße entgegen: „Geh doch dahin zurück, wo du hergekommen bist.“ Hier in der Gegend würde ich auch nie alleine so lange rumlaufen, ich hätte Angst. Es ist zwar nicht so, dass es bisher groß körperliche Gewalt gegen uns gegeben hätte. Aber die Beschimpfungen reichen ja schon. Dem will ich mich nicht aussetzen.

Inzwischen sind wir nur noch wenige Straßen von dem Platz im Allende-Viertel II entfernt, auf dem die Container aufgebaut werden sollen. Auf der Straße kommt uns ein älteres Ehepaar entgegen. Er in Leder-, sie in Multifunktionsjacke, beide tragen eine Brille. Sie trägt eine Penny-Tüte, er hat einen silbernen Staubsauger in der Hand.

Der Anwohner sagt: Ich finde es blöd, dass mit uns nicht geredet worden ist. Deswegen bin ich eigentlich gegen die Container. Wenn man uns gefragt hätte, glaube ich, dann wäre das schon in Ordnung gewesen. Aber so ganz wohl fühlen wir uns nicht damit. Wir haben jetzt nicht direkt Angst, dass die Leute uns was tun, aber dass jemand ihnen etwas tun will, davor schon. Also dass jetzt hier gewaltbereite Nazis auftauchen oder so.

Das Paar wirkt nervös, mehrfach brechen sie ihren Satz ab und beginnen einen neuen. Nur hundert Meter weiter die Straße runter, vorbei an Einfamilienhäusern und kleinen Grünstreifen, befindet sich der Sportplatz, um ihn herum ein kleines Waldstück. Eine blonde Frau Anfang 30 joggt den Waldweg daneben entlang, neben ihr ein großer weißer Hund. Als wir sie mit den Worten „Entschuldigen Sie, hier auf dem Platz soll ja …“ ansprechen, unterbricht sie uns und deutet auf eine Wiese ein paar Meter entfernt: „Nein, da drüben kommen die Container hin!“

Sie sagt: Wir sind, um es mal so zu sagen, überrascht. Ich bin nicht direkt gegen die Container, mein Mann sagt auch immer: Erst mal schaun, wer da kommt. Aber andererseits sind hier ein Altenheim und ein Kindergarten direkt nebenan, und man weiß eben wirklich nicht, was für Leute das dann sind, die hierherkommen. Es ist eben diese Unsicherheit, die uns Sorgen macht. Wenn man uns gefragt hätte, dann hätte ich bestimmt dafür gestimmt, die Container hier aufzubauen, aber man hat uns nicht gefragt. Wir haben einfach nur einen Brief bekommen, dass hier im Dezember 400 Leute einziehen. Deswegen kann ich auch gut verstehen, dass viele Anwohner hier sich überrumpelt fühlen. Die sind einfach überfordert, das ist so viel Veränderung, so viel Neues auf einmal. Aber gut, wir haben auch ein paar Vietnamesen als Nachbarn, und die sind auch sehr nett. Aus dem Salvador-Allende-Haus habe ich aber noch nie jemanden getroffen. Ihr seid nicht so oft hier unterwegs, oder?

Die letzte Frage ist an Cela gerichtet. Dabei hatte die gar nicht erwähnt, dass sie in einer Flüchtlingsunterkunft wohnt. Aber Cela ist weder überrascht noch verärgert. Ja, das stimmt, so oft sei sie nicht hier unterwegs, sagt sie. Die beiden Frauen lächeln sich an, dann geht die Anwohnerin wieder ihrer Wege.

Cela: Die fand ich wirklich nett. Sie hat ja selber nichts dagegen, dass hier Flüchtlinge hinziehen. Und dass die Leute sich überrumpelt fühlen, wenn ihnen vorher nicht Bescheid gegeben wurde, das kann ich schon verstehen.

Auch das Köpenicker Bündnis Refugees Welcome kritisiert in einem offenen Brief den Containerbau. Die Leute seien zu spät informiert worden, das schüre Ressentiments, heißt es darin.

Die Wiese, auf der die Container stehen sollen, ist unkrautbewachsen und leer. Um sie herum verläuft ein Bauzaun, an einer Stelle wurde er mit Gewalt umgeworfen. Sonst deutet noch nichts darauf hin, dass hier in den nächsten zwei Monaten Platz für 400 Menschen geschaffen werden soll. Am Rande des Geländes dreht Spiegel TV einen Beitrag. Eine blonde Frau um die 30 kommt mit Kinderwagen und ihren zwei kleinen Töchtern die Straße herunter.

Die Anwohnerin: Ich bin dem Containerbau gegenüber sehr offen, mich stört es überhaupt nicht, dass die Flüchtlinge hierherziehen. Die Frage ist, ob es für die Leute hier auch so schön ist. Die Stimmung ist leider doch eher gegen sie.

Cela nickt, die Anwohnerin geht weiter. Cela wirft einen nachdenklichen Blick auf die eingezäunte Wiese.

Cela: Es gibt schon auch sehr viele liebe Menschen hier. Viele Leute sind gemein. Aber einige sind auch wirklich ziemlich lieb.