piwik no script img

Jopie Heesters des Golfsports

alfred koch

Mit Walzerschwung und immer im Rhythmus: Alfred Koch aus Münster ist Deutschlands ältester aktiver Golfspieler. Am Samstag wird er 100 Jahre alt

AUS MÜNSTER BERND MÜLLENDER

Mit diesem Mann einen Termin zu finden, war nicht ganz einfach. „Ich hab“, hatte er am Telefon gesagt, „mir grad ‘nen neuen Driver gekauft und bin viel unterwegs.“ Alfred Koch aus Münster, der Mann mit dem neuen Schläger, ist 99. Am Samstag macht er das Jahrhundert voll. Koch ist der älteste aktive Golfer in Deutschland, manche sagen sogar in Europa.

Wir treffen uns schließlich zu Kaffee und Nusskuchen in seinem Haus nicht weit vom Münsteraner Schloss. „Rhythmus“, sagt er sehr bald, „Rhythmus ist mein Lebenselixier.“ Schon sein Vater Bernhard habe ihm, „als ich ein kleiner Junge war“, vom Rhythmus der Gestirne erzählt, vom Kosmos, von hell und dunkel, Tag und Nacht, vom Rhythmus im Alltagsleben, vom Rhythmus der menschlichen Organe, und auch beim Essen: „Immer 33 Mal kauen, einmal für jeden Zahn und einen noch obendrauf. Mach‘ ich bis heute so.“ Immerhin, „mehr als die Hälfte meiner eigenen Zähne habe ich noch“, sagt Koch mit Zahnpastalächeln.

Gerade beim Golf sei Rhythmus „sehr wichtig“, sagt Koch. „Aufschwung, Atmen, das Timing, Durchschwung. Ich mach das im Walzertakt.“ Er macht es vor: „1-2-3, und 1-2-3, und ...“ Alfred Koch („Wir waren eine sehr musikalische Familie“) ist auch leidenschaftlicher Klavierspieler. Musik und Golf – ein Traumpaar? „Vielleicht hilft musikalisches Gefühl dem Golfspiel, aber nicht umgekehrt: Golf ist sogar schädlich fürs Klavier. Man kriegt so leicht Schwielen.“

Handicap 29 spielt er noch. 29 heißt, er schafft Runden von etwas mehr als hundert Schlägen (29 über den üblichen 72 eines Platzes). Sein bestes Golf spielte Koch mit Handicap 8. Heute nimmt er gelegentlich noch Trainerstunden, aber zuletzt habe der Lehrer gesagt: „Herr Koch, was soll ich Ihnen noch beibringen? Sie können es doch.“ Jeden Mittwoch Seniorenrunde, die meisten Mitspieler könnten locker seine Kinder sein, all diese Junioren von 65 oder 75. „Und die sagen immer: Alfred, Du bist unser Vorbild.“ Nur Nichtgolfer kommen auf Sprüche wie diesen: „Der ist doch wahnsinnig, dass der noch golft.“

Kochs Frau, die auf den prominenten Namen Marianne Koch hörte, ist 2001 gestorben (vier Kinder – alle Golfer –, zehn Enkel, 20 Urenkel). Bei Koch ist alles knapp vor ewig: 68 Jahre waren die beiden verheiratet. Koch fährt „selbstverständlich“ immer noch Auto, lebt allein im riesigen Haus, die Haushälterin geht stundenweise zur Hand.

Kochs rhythmisches Leben hatte viele Takte. Er hat seit seiner Jugend Tennis, Fußball und Hockey gespielt. In Berlin sollte er im eiskalten Winter 1928 Tennis lehren. Weil aber über Wochen alles tief gefroren war, „haben wir den Platz fluten lassen und eben Eishockey gespielt“. Bald war Koch Vorsitzender des Stadtverbandes für Leibesübungen in Münster. Nach Sportstudium und einer Ausbildung zum Marineflieger Ende der 20er Jahre („Wolfgang von Gronau, der spätere Atlantikflieger, war mein Lehrer“) folgte das Medizinstudium. Koch war danach als Sportarzt im Olympischen Dorf 1936 in Berlin beschäftigt, im Krieg war er Sanitätsoffizier.

Alfred Koch, seit 35 Jahren Pensionär, ist fitter als viele Senioren-Youngster mit 80. Er redet wie ein Wasserfall, meist witzig und pointiert, Anekdote reiht sich an Geschichtchen, ein Detail an die nächste Kuriosität. Als junger Fußballer bei Münster 08 spielte er einmal gegen den großen Ernst Kuzorra („Später haben wir bei 08 den Schalker Kreisel nachgespielt“), in den 50ern landete er in Argentinien nach einem Vortrag in den Armen von Präsident Juan Perón und danach auf dessen Yacht. Bei einer Golfrunde in Augsburg, vor fast 40 Jahren, wurde ihm ein kleiner blonder Caddie vorgestellt. „Bernhard Langer hieß der Bursche.“

Angefangen mit dem Schlägerschwingersport hat Prof. Dr. med Alfred Koch nebenan in Burgsteinfurt, 1951, als er gerade Chefarzt Innere Medizin im Clemenshospital geworden war. Zum Golf zog es ihn mit einer erfrischenden Begründung, die viele heute noch verblüffen würde: „Ich dachte mir, Golf ist doch ein familiengerechter Sport, da können wir mit den Kindern hin, denn die hatten kaum Spielmöglichkeiten in unserer Etagenwohnung.“ Und? „Es lief prima. Den Kindern haben wir die Golfknüppel kürzer gesägt.“ Ergebnis: „Das parkähnliche Gelände eignete sich gut zum Herumtoben.“ Nach zwei Jahren war Koch Spielführer im Club.

1963 hat er den Golfclub Wilkinghege in Münster gegründet, heute wird hier immer am Wochenende vor seinem Geburtstag „Kochs Jungbrunnen Cup“ ausgespielt. Andernorts hat der Golfmaniac bei Medizinvorträgen als Vorsitzender der deutschen Sportärzte neue Clubs initiiert („Als aufstrebende Bäderstadt müssen Sie einen Golfplatz bauen! haben ich denen erklärt“) und die deutsche Ärztegolfmeisterschaft aus der Taufe gehoben. Praktischerweise haben „oft parallel zu olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften internationale Ärztekongresse stattgefunden.“ Koch zählt die halbe Welt auf, die er als Delegierter und Referent besucht hat. Lebensfazit: „Doch, ich war immer ganz gut auf Draht.“

„Sport ist der Bruder der Arbeit“, zitiert er den spanischen Philosophen Ortega y Gasset. Der hatte auch mal so klug wie schlicht gesagt: „Golf? Golf ist anders.“ Den Satz kannte Koch nicht: „Sehr klug. Da steckt die Wahrheit drin.“ Zwei Asse gelangen ihm in 56 aktiven Golfjahren, sensationell aber ist dies: „Ein paar Mal vor zwei, drei Jahren“ habe er sein Lebensalter in Schlägen gespielt. Also mit 97 Jahren eine 97er Runde. „Ich weiß, das schaffen nur ganz wenige auf der Welt.“ Eine 55 mit 55 geht nicht, eine 75 mit 75 schafft kaum noch jemand, und wer wird schon fast 100 und schwingt sich überhaupt noch über die Fairways?

„Zielstrebigkeit, Demut und Disziplin haben sich in meiner Lebensakrobatik addiert“

Koch zeigt sein 10-Meter-Schwimmbecken im Haus. Es ist höllisch aufgeheizt. „Im Wasser mach ich gern Schwungübungen, bis hierhin.“ Er deutet auf seine Brust. „Auch mit Hanteln, das ist wichtig für die schrägen Bauchmuskeln.“ Am Beckenrand steht eine altvordere Sauerstoffflasche, an der Wand ist eine Metallsprossenwand aus den frühen 60ern angebracht, angerostete Turnerringe baumeln von der getäfelten Decke. „Man muss immer im Takt bleiben und im Schwung“, sagt der 99,9-jährige Emeritus der Medizin. Im Garten hat er ein Netz aufgehängt, da übt er Abschläge von einer kleinen Kunstrasenmatte mit seinen sieben Drivern.

Kochs Golfschwünge sind, kein Wunder, nicht mehr schnell und dynamisch, aber von technisch feiner Präzision. Wusch, saust wieder ein Kügelchen ins Netz. 150 Meter schafft er auf dem Platz noch, sagt er, früher war es mal die Hälfte mehr. „Ohne Golf wäre ich nicht so alt geworden.“ Golf ist die ideale Umsetzung seiner Lebensphilosophie: Jeder Golfschlag ist ein ständig wiederkehrender Rhythmus. „Und der Körper verlangt Rhythmus“, sagt Koch noch einmal, „darauf ist er ausgerichtet. Niemals den Ball schlagen wollen, immer nur schwingen, die Bewegung aus dem ganzen Körper ziehen.“

Drei Schreibtische hat er. Rund um den einen stehen Büchertürme bis unter die Decke, dass man dem Haus die Mauern abreißen könnte, es bliebe wahrscheinlich immer noch stehen. Der andere inmitten des lichtdurchfluteten Wohnzimmers ist ein Chaos aus Zeitungsausschnitt-Hügeln, Briefen, Zettelstapeln. Der dritte beim großen Fenster ist das Terrain rund um sein Sofa voller aufgeschlagener Bücher und Zeitschriften. „Großer Wissensdurst, Zielstrebigkeit und Unermüdlichkeit, Geduld, Disziplin und Demut“ haben sich, sagt Koch, in „meiner Lebensakrobatik“ addiert. Heute nennt er sich schlicht „munter und zufrieden“. Zuletzt schrieb Koch gerade an einem neuen Buch über Krebsentstehung, das jetzt zu seinem 100. Geburtstag erscheint: „Damit trete ich den Onkologen und Pathologen ganz schön auf die Füße.“ Doch, sagt er ohne Koketterie, aber wohl wissend, wie sehr er als Heesters des Golfs mit seinen Lebensdaten wirkt, „die nächsten Jahre werden ganz schön spannend für mich.“

Aber alles im Leben gelang auch Alfred Koch nicht. Einmal traf er als Kapitän der deutschen Senioren-Nationalmannschaft bei einem Länderspiel auf König Leopold von Belgien („ein sehr freundlicher Mann, der bot mir gleich eines seiner Brote in Pergamentpapier an“). Das Spielergebnis hat Koch nicht geschmeckt: Er unterlag im majestätischen Matchplay Mann gegen Mann haushoch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen