„Sagel war ein Unikat“

Alter: 50 Geboren in: Essen Wohnhaft in: Solingen Ausbildung: Studium in Bochum, Referendariat in Duisburg. 1984 bis 1995 Gesamtschul-Lehrerin für Deutsch und Englisch in Solingen Politik: Seit 1985 Mitglied der Grünen Partei Karriere: Seit 1995 Mitglied im NRW-Landtag. Seit 2000 Grünen-Fraktionschefin im Düsseldorfer Parlament Hobbys: Reisen (Britische Inseln, skandinavische Fjorde), Weinkennerin (oft aus der Toscana) und Kultur (u.a Bergische Symphoniker und Donna-Leon-Schmöker)

INTERVIEW ANNIKA JOERES
UND MARTIN TEIGELER

taz: Frau Löhrmann, Ihr Abgeordneter Rüdiger Sagel ist aus der Grünen-Fraktion ausgetreten. Hat er Ihnen den Start in die Sommerpause vermiest?Sylvia Löhrmann: Nein. Herr Sagel hat sich entschieden, nicht mehr bei uns mitzuarbeiten. Er hat das politisch begründet – ich gehe aber davon aus, er hat persönliche Gründe. Er hat sich in bestimmten Fragen isoliert und wäre wahrscheinlich nicht mehr aufgestellt worden. Er hat sich am Schluss nur noch profilieren wollen und keine ernsthafte politische Auseinandersetzung gesucht. Wir werden das gut verkraften.

Ist es nicht ein blödes Gefühl, plötzlich die kleinste Fraktion zu sein? Die FDP hat jetzt ein Mandat mehr.

Das ist ärgerlich. Weil wir von den Wählerstimmen her die drittgrößte Fraktion sind. Und jetzt will Rüdiger Sagel sein Mandat mitnehmen. Das ist nicht basisdemokratisch. Er sitzt für die Partei im Landtag, das ist ein grünes Mandat und nicht sein privates. Dieses Mandat klaut er den Grünen.

Sie klingen enttäuscht.

Nein. Rüdiger Sagel hat sich nicht sauber verhalten. Ich habe noch einen Tag vor seinem Austritt mit ihm über unser Vorgehen in der Gelsenkirchener FH-Affäre abgesprochen. Es gab keinen Dissens. Wir wollten alle offenen Fragen bündeln, uns für einen Untersuchungsausschuss vorbereiten und nach den Ferien an die anderen Fraktionen herantreten. Alleine können wir ja keinen Ausschuss erzwingen.

Als Unabhängiger hat Sagel ihn aber Anfang der Woche gefordert. Und noch immer ist unklar, wer für die Verschwendung von Subventionen in Millionenhöhe an der Fachhochschule Gelsenkirchen politisch verantwortlich ist. Werden Sie Sagels Antrag unterstützen?

Wir gehen unseren Weg der Aufklärung konsequent weiter. Dabei ziehen wir selbstverständlich auch einen Untersuchungsausschuss in Betracht, das hat die Fraktion einstimmig beschlossen.

Sagel ist in der Offensive, Sie in der Defensive. Fürchten Sie die Aufarbeitung der rot-grünen Regierungszeit?

Erst einmal war es Rüdiger Sagel, der das Inkubatorzentrum in den höchsten Tönen gelobt hat. Dann interessiert uns natürlich: Was hat Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu verantworten, was hat seine CDU-Wirtschaftsministerin Christa Thoben zu verantworten und natürlich auch: was haben ehemalige SPD-Landesminister gewusst?

Warum wollen Sie bis zum Herbst mit einem Untersuchungsausschuss warten?

Wir sind auf die Unterstützung einer großen Fraktion angewiesen, um einen Untersuchungsausschuss zu installieren. Dort ist der Aufklärungswille aber leider nicht so ausgeprägt. Ein Schaufenster-Antrag wie von Rüdiger Sagel hilft in der Sache rein gar nichts.

Geht Sagel zur Linken?

Ich vermute das.

Mittlerweile ist die neu gegründete Linkspartei bundesweit bei zwölf Prozent in den Umfragen. SPD-Chefin Hannelore Kraft schließt ein rot-rot-grünes Bündnis in NRW nicht mehr aus.

Wir wissen doch noch gar nicht, was das Programm und wer die Personen der Linkspartei im Land Nordrhein-Westfalen sind. Das sind alles Spekulationen und wir Grüne werden uns hieran nicht zu beteiligen. Die nächste Landtagswahl ist bekanntlich erst in drei Jahren.

Die SPD liegt mittlerweile unter dreißig Prozent. Eine rot-grüne Koalition ist weit entfernt von einer Mehrheit. Sie brauchen neue Partner.

Das wissen wir jetzt alles noch nicht. Ich habe kein Interesse daran, die Linkspartei hochzureden.

In Bremen ist die Linke ins Landesparlament eingezogen.

NRW ist nicht Bremen. Die Linkspartei ist hier noch lange nicht im Parlament. Wir haben kein Prozent zu verschenken.

Also die Linke ist kein potentieller Koalitionspartner?

Wir spekulieren derzeit nicht über mögliche Partner. Wir kämpfen mit unseren grünen Inhalten und Ideen um die Wählerinnen und Wähler. SPD und Linkspartei sind unsere politische Konkurrenz.

Sie haben Jürgen Rüttgers und Karl-Josef Laumann von der CDU eingeladen. Wann treffen Sie sich mit Vertretern der Linkspartei?

Nie. Dazu habe ich keinen Anlass. Soll ich jetzt Rüdiger Sagel einladen?

Also lieber Laumann als Linkspartei?

Herr Laumann ist Minister und wir haben mit ihm kritisch über Mindestlöhne und Nichtraucherschutz gesprochen. Da gibt es inhaltliche Überschneidungen.

Die gibt es doch mit der Linkspartei auch. Zum Beispiel haben sie am Wochenende auf ihrem Landesparteitag mit fast identischen Worten die Hartz-Gesetze kritisiert.

Die Linkspartei hat außer Fundamentalopposition keine inhaltlichen Vorstellungen. Sie will ja auch gar nicht regieren. Was ist das für eine Haltung? Wir sind eine kämpferische Opposition und wollen 2010 die Rüttgers-Regierung ablösen.

Mit welchen Themen wollen Sie das schaffen? Bislang gibt es kein besonders umstrittenes Projekt der Rüttgers-Regierung, bei dem Sie Schwarz-Gelb stellen könnten.

Es gibt derzeit vor allem zwei große Themen. Das sind die Bildungspolitik und der Klimawandel. Wie die Landesregierung im Bundesrat die Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke verteidigt ist skandalös. Man kann nicht auf der einen Seite die Kanzlerin für ihre Politik loben und auf der anderen Seite den Energiekonzernen die Dreckschleudern durchgehen lassen. Wer immer noch glaubt, dass Ökologie im Gegensatz zur Wirtschaft steht, ist nicht ernst zu nehmen. Die wenigen Gemeinsamkeiten mit der CDU schwinden.

Also Schwarz-Grün läuft nicht. Gibt es denn inhaltlich ein rot-grünes Projekt in NRW?

Wir wollen beide die Gemeinschaftsschule und sind gegen die Privatisierungspolitik von Schwarz-Gelb. Und wir machen einiges zusammen in der Opposition - zum Beispiel die gemeinsame Klage gegen Onlinedurchsuchungen.

Eine Schulreform hätten Sie doch schon in Ihrer Regierungszeit machen können.

Wir bedauern, dass wir dies nicht hingekriegt haben. An uns Grünen hat es nicht gelegen, wir hatten die Gemeinschaftsschule im Programm. Aber die NRW-SPD war bis 2005 zu zögerlich, das überkommene dreigliedrige Schulsystem in Frage zu stellen. Jetzt ziehen sie mit uns an einem Strang. Bei einer Neuauflage von Rot-Grün kämen wir in dieser Frage vermutlich weiter - vorausgesetzt, die SPD bleibt bei ihrem Kurs.

Und Sie sind sich sicher, dass Ihnen bis dahin keine weiteren Abgeordneten abhanden kommen?

Ja. (lacht) Auch insofern war Rüdiger Sagel ein Unikat.