„Ich bin der glücklichste Mann der Welt“

HAUSBESUCH Sein Zuhause ist der Ballettsaal, dort kämpft er täglich mit sich selbst. Zu Besuch bei Vladislav Marinov

VON MARLENE GOETZ
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Berlin-Charlottenburg, im Staatsballett der Hauptstadt, zu Besuch bei dem Balletttänzer Vladislav Marinov.

Draußen: Laute Bauarbeiten sind am Eingang des Staatsballetts in der Richard-Wagner-Straße, die an der Deutschen Oper vorbeiführt, zu hören. Ein massives Gebäude mit einer graubraunen Fassade aus Steinen, davor eine moderne Skulptur aus dunklem Eisen.

Drin: Es scheinen unendlich viele große und kleine Räume, Treppen und Korridore zu sein bis zum Tatjana-Gsovsky-Studio I. Alles ist frisch gestrichen – die Schilder hängen noch –, in hellen Farben, Weiß oder Grau, nur der Boden ist schwarz. Darauf unzählige Fußspuren. Auf einer Seite des Saals eine riesige Glaswand, auf der anderen eine Spiegelwand. Es ist warm, aber kein bisschen muffig.

Was macht er? Vladislav Marinov ist seit 2011 einer der Solotänzer des Staatsballetts Berlin. „Ich bin eher ein kleiner Tänzer, also von der Körpergröße her. Solche braucht man auch, aber nicht für die Rolle des Prinzen“, sagt der gebürtige Bulgare, der sich über die zehn letzten Jahre bei den Mitarbeitern des Staatsballetts offenbar beliebt gemacht hat. Jeder grüßt „Vlado“. „Malakhov hat mich weiterentwickelt und mich immer höher gebracht“, erzählt der Tänzer. Malakhov: Da genügt in der Ballettwelt der Nachname. Gemeint ist Vladimir Malakhov, der zehn Jahre lang Intendant des Staatsballetts war. Sein Lieblingsballett? Vlado Marinov will keines nennen. Für ihn ist „jede Erfahrung auf der Bühne ein Gefühl, das mehr wert ist als alles Gold der Erde.“ Er ist nun gespannt auf die Arbeit mit dem neuen Intendanten Nacho Duato.

Wie ist bei einem Tänzer das Verhältnis zum Körper? „Ich kämpfe jeden Tag mit mir selbst.“ Die Herausforderung ist gewaltig, denn das Ergebnis muss elegant und leicht aussehen. „Dabei ist es mit viel Schmerz und Arbeit verbunden.“ Im Training ist er hoch konzentriert und präzise, obwohl es für den Solisten keinen Zwang gibt, jeden Tag dabei zu sein. Der Körper sei sein Arbeitswerkzeug, „jeden Tag muss ich auf ihn hören, wissen, was er braucht, und jede Veränderung spüren.“

Was denkt er? „Gesund bleiben ist sehr wichtig“, sagt Vladislav Marinov. Er sei sehr beschäftigt, und „man muss sich permanent beweisen, weil die Verträge nur ein oder zwei Jahre laufen“. Dabei achtet er darauf, eine „innere Ruhe“ zu finden.

Wie sieht er die Zukunft? Der Balletttänzer zeigt sich realistisch: „Man weiß nicht, wie lange man tanzen kann … Ich setze mir keine Grenzen, aber es wird nicht ewig dauern. Und ich bin schon dreißig.“ Neben dem Ballett pflegt er sein Hobby Videokunst („Ich filme meine Kollegen und suche Musik aus, um Tanzvideos zu schneiden, aber auch Familienvideos“). Das könnte er sich vorstellen für die Zukunft („Ich würde Videoschnitt gerne studieren“).

Vladislav Marinov: Er ist 1983 in Ruse, einer Stadt im Norden Bulgariens, geboren: „An der Donau und der Grenze zu Rumänien.“ Sein Vater ist Ingenieur im Maschinenbau, seine Mutter Lehrerin für Literatur, Bulgarisch und Russisch. Es war ihr Traum („Eigentlich wollte sie Ballerina werden“) und ihre Idee, Vladislav und seinen zwei Jahre älteren Bruder in die Ballettschule zu schicken. „Als Kind hatte ich, ehrlich gesagt, überhaupt kein Interesse.“ Er war wütend, als die Mutter ihn mit fünf zum Tanzunterricht brachte, wollte im Jahr danach auch nicht mehr dorthin. „Eines Tages kam meine Mutter, als ich mit den anderen Jungs auf der Straße spielte, und sagte laut, dass ich jetzt in die Ballettschule müsse“, erinnert er sich. Nach drei Jahren hatte er sich an die harte Disziplin gewöhnt, es machte langsam Spaß, zu tanzen. Mit 14 nahm er neben der Schule an Aufführungen mit professionellen Tänzern teil, aber „ohne mir Gedanken über die Zukunft zu machen“. Diese lag in Sofia, der Hauptstadt, mit der seine kleine Stadt eine Kooperation hatte. Er wurde entdeckt und durfte zum Staatsballett. Zwei Jahre tanzte er dort, lernte viel und tourte durch ganz Europa. Bei einer Vorstellung 2002 in den Niederlanden bemerkte ihn eine deutsche Ballettdirektorin und bot ihm einen sofortigen Vertrag an. „Das war mein Visum in den Westen.“ Er landete in Flensburg, wo es schon mehrere bulgarische Tänzer gab („Zum Glück, sie haben mir mit den vielen Papieren geholfen“). 2004, zur Gründung des Staatsballetts Berlin, tanzte er vor. „Es war eher eine Probe für mich, ich wollte wissen, wie es ist, vorzutanzen.“ Doch er bestand die körperliche Untersuchung („Schauen, ob die Beine gerade sind“), und den Bühnentest („Das Wichtigste für mich: Da muss man man selbst sein“). Etwas verwirrt durch die Nummerierung („Erst wurden die aufgerufen, die ‚bedankt‘, also aussortiert wurden, dann die Ausgewählten“) schaffte es Vladislav Marinov unter die Letzten und landete „plötzlich“ in Vladimir Malakhovs Büro. „Ich hätte es nie gedacht“, doch er erhielt einen ersten Jahresvertrag als Gruppentänzer.

Das letzte Date: „Ich bin nicht wie andere Männer, die gerne ‚daten‘, ich hatte eigentlich nie ein Date“, sagt Vladislav bestimmt. Seit der letzten Beziehung, mit einer anderen Tänzerin, ist er Single („Für Privatleben bleibt wenig Zeit“).

Einsam? „Es ist schon ein einsamer Beruf“, sagt der Tänzer, der umso mehr Wert auf die Unterstützung seiner Kollegen legt. Aber auch das Gefühl, ständig beobachtet, kritisiert und korrigiert zu werden, mache ihm manchmal zu schaffen.

Alltag: Vladislav Marinov steht jeden Tag um 7.30 Uhr auf, frühstückt nur eine Kleinigkeit „wie eine Banane oder eine andere Frucht“; kein Kaffee, wobei es da keine Vorschriften gibt. „Ich kann nicht mit vollem Bauch ins Training“, das geht von 10 bis 11.30 Uhr, jeden Tag, außer am Sonntag, es sei denn, es gibt eine Vorstellung. „Der Körper wird vorbereitet, wie ein Instrument eingestimmt wird.“ Dann gibt es verschiedene Proben, die Mittagspause („Zu Mittag wieder etwas Leichtes, meistens eine Suppe“) ist erst um 14 Uhr. Wenn es abends eine Vorstellung gibt, hat er nachmittags Pause, bis etwa 17 Uhr, sonst probt er bis 18 Uhr, manchmal auch abends allein im Ballettsaal („Bei neuen Choreografien muss man schon viel Zeit investieren“).

Wie finden Sie Merkel? „Sie ist eine starke Frau, und ich liebe starke Frauen, sie sind für mich wie Göttinnen.“ Er fügt aber gleich hinzu, er kenne sich mit Politik nicht so gut aus.

Wann sind Sie glücklich? „Ich bin der glücklichste Mann der Welt: Ich gehe jeden Tag tanzen und kriege Geld dafür!“

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