berliner szenen Schönhauser Allee

Röcke, die wir uns nicht leisten können

Dunkelheit hat sich über die Stadt gehängt, kühlt die erhitzten Gemüter und fährt mit Weichzeichner über Geldsorgen, Liebeskummer, Hundedreck und Falten. Fröhliche Scheißegalstimmung. Die Anspannung in den Gesichtern rührt nur vom ersten Sonnenbrand. Junge Menschen bewegen sich wie durch warmes Wasser. Männerhosen sind in Kniekehlen gerutscht, Dekolletees in Bauchnabel. Die Stadt ist eine Schaukelpartie.

„Los komm, eine rauchen wir noch!“ Wir sitzen auf der Holzbank vor dem Spätverkauf in der Schönhauser Allee und gucken den Röcken nach, die wir uns nicht leisten können. „Der da“, sagt Franzi, „34,90 bei Mango.“ Bewundernd verfolgen wir das wallende Leinengebilde. „Schön!“, sagt sie. „Sommer!“, sage ich. In einer leeren Bierflasche zu unseren Füßen flackert leise eine Kerze. Daneben noch zwei leere und eine halb volle. Wir wollen seit Stunden nach Hause gehen. Ein kleiner Mann schlurft an uns vorbei hinter den Müllcontainer und erleichtert sich plätschernd. Sobald das Licht schwindet, zerfallen die Fesseln der Zivilisation bei großen Teilen der Bevölkerung zu Staub, die Natur bricht sich Bahn, Männer zelebrieren öffentliche Schwanzvergleiche, und jeder Gegenstand, der aus festem Material besteht und menschliche Hüfthöhe erreicht, wird zur Pinkelstation. Wetter ist wichtig. Wetter macht Stimmung. Bei Regen und zehn Grad würden wir schimpfend vorbeirennen, auf irgendein Ziel zu: Bett, Arbeit, Zukunft. Jetzt sitzen wir nur da und zelebrieren den ereignislosen Moment. Franzi stemmt die Hände in die Seiten, streckt sich und gähnt: „So.“ Ich reiche ihr die letzte Flasche: „Los komm, eine rauchen wir noch!“ LEA STREISAND