Tschüss, Shuttle!

ORBIT In dieser Woche wird die Atlantis auf der Erde zurückerwartet. Damit endet die letzte Reise eines Spaceshuttles. Ein Abschiedsgruß

■  Der Termin: Die Raumfähre Atlantis wird am Donnerstag zurückerwartet. Mit dem 135. Flug eines Spaceshuttles endet die Ära der Orbiter, die als klobige Flugzeuge zur Erde zurückkamen. Die Recycling-Fähre war zu teuer und nach den Katastrophen von Challenger und Columbia zu riskant. Wie die Endeavour und Discovery kommt die Atlantis ins Museum.

■  Die Zukunft: US-Präsident Barack Obama äußerte zum Start der Atlantis seinen „Stolz“ über das Shuttle-Programm und kündigte an, dass er die Nasa mit einer „ehrgeizigen neuen Mission“ betraut habe. Sie soll „neue Grenzen in der Weltraumerforschung überschreiten“ und eines Tages US-Astronauten zum Mars bringen. Obama wolle dieses Ereignis miterleben.

VON ARNO FRANK

Liebes Spaceshuttle,

nun ist es das also gewesen mit uns. Nach genau dreißig gemeinsamen Jahren. Nicht, dass wir jeden Deiner Flüge verfolgt und mit unbewaffnetem Auge nachts am Firmament nach einem rasch wandernden Stern ohne Positionslampen gespäht hätten, das nicht. Es war halt schon Routine, wenn Du zu einer Mission gestartet bist. Aber in genau dieser Routine lag das Versprechen, die eigentliche „Eroberung des Weltalls“ stünde kurz bevor, ja sei schon in vollem Gange.

Frühere Raumschiffe waren nach Gestalten aus der griechischen Mythologie benannt, Saturn, Titan, Apollo. Du, Atlantis, trugst wie Deine Schwestern Challenger, Columbia, Endeavour und Discovery die Namen ganz realer Forschungsschiffe aus der Zeit, als es hienieden noch etwas zu entdecken gab. Was Dir eines Tages folgen würde, das müsste schon ein „Raumschiff Enterprise“ sein – oder was das Genre des Science-Fiction sonst noch für Phantasmen vorgesehen hatte. Stattdessen folgt auf Dich nun – nichts. Schade eigentlich. Doch, schade!

Das darf man ja heute eigentlich gar nicht mehr sagen. Steht man blöd da sonst. Heute heißt es: Was für eine Verschwendung! 135 Flüge in den Orbit für 210 Milliarden Dollar! Was man damit alles hätte kaufen können! Apple zum Beispiel, IBM, Google oder meinetwegen auch eine Flotte von 1.400 Passagierflugzeugen. Und dann erst die Ressourcen, die da mit jedem Start pulverisiert wurden! Um Deine 757 Tonnen auch nur ein paar Zentimeter von der Startrampe zu wuchten, mussten den Brennkammern pro Sekunde 4.000 Liter Treibstoff zugeführt werden, von eigens entwickelten Turbopumpen.

Nein, Raumfahrt ist etwas, für das sich kleine Jungs interessieren, bis sie aufhören, kleine Jungs zu sein. Wer älter ist als 12 Jahre und noch immer Astronaut werden will, mit dem stimmt irgendwas nicht. Der wird dann womöglich wirklich Testpilot oder Physiker oder was man halt so braucht für einen Flug ins All – wofür man so einen Flug ins All auch brauchen mag.

Aber darum ging es bei Dir ja nie. Wenn Du gelandet sein wirst, ist mehr als nur eine Ära zu Ende. Es wird auch eine Idee zu Grabe getragen.

Alle anderen Fahrzeuge zur Überwindung der Gravitation sind ästhetisch nie über das hinausgekommen, was sich Wernher von Braun auf seinem Zeichenbrett in einem Kaff namens Peenemünde auf dem Nordwestzipfel von Usedom ausgedacht hat. Potenzielle Interkontinentalraketen allesamt, phallische Militärfantasien, reine Ballistik.

Du warst da anders, ganz anders. Das komplizierteste Flugobjekt aller Zeiten, bestehend aus mehr als zwei Millionen Einzelteilen. Wie ein etwas klobig geratenes Flugzeug eben, das nur noch huckepack auf der Rakete reitet, um neben irgendeiner Nutzlast auch so etwas wie aeronautische Eleganz ins All zu tragen.

Das ist ja das Kuriose an der christlichen Raumfahrt, dass ihr das ganz Große, das Humane, das Allgemeinmenschheitliche so beharrlich anhaftet. Der Blick nach draußen in die Tiefen des Raumes kehrt sich um, kaum ist der Raum erreicht, und ruht dann nur noch seltsam versonnen auf der Oberfläche des Planeten. Wie einsam! Wie klein! Wie zerbrechlich! Und nur Du kehrtest von dort zurück, wie geläutert. Nicht wie diese plumpen russischen Sojus-Kapseln, als angekokelte Kartoffel an einem Fallschirm irgendwo in der kasachischen Steppe. Sondern gleichmütig und routiniert wie ein landendes Transportflugzeug, begleitet von winzig wirkenden Flugzeugen wie ein Ozeandampfer von Schleppern nach langer Fahrt im heimatlichen Hafen.

Gescheitert bist Du schon lange, weil der geplante Linienbetrieb niemals aufgenommen werden konnte. Pro Start wurden ursprünglich zwanzig Millionen Dollar veranschlagt, am Ende waren es fast 800 Millionen. 24 Mal hättest Du jährlich aufsteigen sollen, am Ende waren es maximal sieben Starts. Zu teuer für das Militär, das irgendwann aus dem Programm ausstieg. Und wenn etwas zu teuer selbst für das Militär ist, dann will das schon etwas heißen. Sehr sympathisch. Sogar verletzlich warst Du. 1986 explodierte die Challenger 73 kurze Sekunden nach dem Start, 2003 ging die zerbröselnde Columbia 16 Minuten vor der Landung als Sternschnuppenschweif über den Südstaaten der USA nieder.

In den USA, wo „Größe“ traditionell eher selten mit „Wahn“ in Verbindung gebracht wird, wird Dein Abschied besonders wehmütig wahrgenommen. Du warst das größte Spielzeug aller Zeiten, und nun wirst Du weggenommen, eingemottet und ins Museum gestellt – gleich neben andere weit in die Zukunft ragende Ideen, die dann doch irgendwann von der Zeit eingeholt wurden. Die Concorde. Der Zeppelin.

Und vielleicht ist das ja Deine letzte und wichtigste Mission: ein Denkmal zu sein für den Fortschritt, dessen Grenzen Du ausgelotet hast wie kaum ein anderes Artefakt zuvor. Ein Denkmal für die Umkehr.

Leb wohl, Spaceshuttle!