Ein ganz großer Bogen um Deutschland

Die Heimat begreift am besten, wer sie großräumig umfährt. In vier Tagen und auf zwei Rädern geht es durch Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, die Schweiz, Liechtenstein, Italien, Österreich, Tschechien und Polen – ohne Pause. Wenn der Weg das Ziel ist, braucht man auch nicht anzuhalten

Ewan McGregor, 36, ist als Schauspieler aus „Trainspotting“ oder „Star Wars“ bekannt. Weniger bekannt – weil weniger interessant – ist die private Leidenschaft des Schotten für Motorräder und Reisen. Das Buch „Long Way Round“ nun erzählt genau davon, dem langen Weg rund um die Welt, den McGregor mit seinem Kumpel Charley Boorman in Angriff genommen hat. Von London durch Europa, durch die Ukraine, Kasachstan, Sibirien, die Mongolei, China, Alaska und von dort durch Kanada bis nach New York. Fast ein halbes Jahr waren McGregor und Boorman auf Achse, und in dem Buch erzählen sie von dieser Reise so unvermittelt und begeistert, als stünde sie erst noch bevor. Ganz so abenteuerlich, wie die zahllosen Grenzüberquerungen und Flussdurchfahrten vermuten lassen, ist es dabei nicht zugegangen – ein Tross Dokumentarfilmer hat die Reise für einen Film begleitet, mitreisende Mechaniker werden zu „Partnern“ verbrämt, und die stolzen Reisevehikel wurden von BMW gesponsert. Wem das nicht zu viel der Privilegien ist, der kann sich hier aber genug Anregungen für eigene Reisepläne abholen. FRA

Ewan McGregor, Charley Boorman: „Long Way Round – der wilde Ritt um die Welt“. Frederking & Thaler, München, 293 Seiten, Hardcover, 19,90 Euro

VON ARNO FRANK

Geht das? Zugegeben, allein die Idee ist schon so sinnfrei, als stecke eine dumme Wette dahinter. Stattdessen war es einfach nur eine Idee und die Frage, ob es sich realisieren ließe, einmal um Deutschland herumzufahren. Warum? Weil es da ist und umkreist werden will, gegen den Uhrzeigersinn, mal mehr, mal weniger hart an der Landesgrenze entlang, durch alle Nachbarstaaten, Dänemark ausgenommen. Ein verlängertes Wochenende habe ich mir dafür Zeit genommen, vier Tage, mehr nicht.

Die Probleme beginnen schon mit dem Bepacken. Mein Moped verträgt ungefähr so viel Gepäck und maximale Zuladung wie ein Skateboard. Ein Rucksack mit Thermokombi und Regenkleidung für den eigenen Rücken, ein notdürftig auf dem Tank befestigter zweiter Rucksack für Bücher, Kleinzeug und Wechselwäsche, mehr ist da nicht drin. Höchstens ein Zelt, das könnte mit Ach und Krach und Expandern noch auf dem Sozius festgezurrt werden. Der Fotoapparat aber bleibt aus Prinzip zuhause, die Bilder gehören in den Kopf, nicht ins Album. Woran ich mich nicht erinnern kann, davon brauche ich später auch kein Bildchen. Also los jetzt!

Tatsächlich erweist sich das erste Teilstück der Reise, angetreten kurz vor Sonnenaufgang, als harte Prüfung in Sachen Geduld und Sitzfleisch. Topfeben, schnurgerade und frei führt die Autobahn weiter nach Westen durch die Norddeutsche Tiefebene. Felder, so weit das Auge reicht, also bis zu den nächsten Windkraftanlagen. Weit und breit kein einziger Baum, das muss die Heide sein. Während der ersten Stunden gehört die Überholspur mir, die rechte Fahrbahn riesigen Sattelschleppern mit ukrainischen Kennzeichen. Sie ziehen eine lange Schleppe aus Wind hinter sich her; bleibt man in ihrem Schatten, lässt sich trefflich Sprit sparen; überholt man sie mit höherer Geschwindigkeit, dann beginnt die Maschine jedes Mal auf Höhe der Führerhäuschen zu pendeln. Scherwinde, es stellt sich das Segelfliegergefühl ein. Mit 120 lässt es sich entspannt dahinschnurren, Geraden bis zum Horizont laden zu sinnlosen Zwischenspurts ein, aber spätestens ab 160 wird der Winddruck sowieso zu stark, also wieder runter auf das reguläre Reisetempo. Für Motorradfahrer gibt es nichts Tristeres als eine solche von den Gletschern der Eiszeit plattgehobelte Landschaft.

Und doch bleiben Eindrücke zurück. Wie plötzlich der eigene Schatten vor der Maschine auf dem Asphalt liegt und dann immer kürzer wird. Wie die niedrigen Wolkenfetzen bedrohlich dahinjagen und erste Regentropfen aufs Visier klopfen. Andere Motorradfahrer, die sich unter Brücken in ihre Regenkleidung zwängen. Das Glücksgefühl, wenn sich das Grau bald auflöst und das strahlende Hoch dahinter erkennen lässt. Südlich von Hamburg dann verwandelt sich die eben noch verschlafene Autobahn in eine gut durchblutete Schlagader, sie pocht und pulsiert und nervt. Man spürt förmlich den Sog, der von der Großstadt ausgeht und bis weit ins platte Land ausgreift. Erst jenseits der Weser habe ich das Gefühl, ihrer Gravitation entkommen zu sein. Und war das eben nicht die Ems?

Unterdessen häufen sich die gelben Autokennzeichen, und so fliege ich über die niederländische Grenze in die Provinz Groningen, bevor ich überhaupt Notiz nehme davon, Deutschland verlassen zu haben. Fast pustet mich der stramme friesische Westwind von dem 32 Kilometer langen Damm, der das Ijsselmeer von der Nordsee trennt. Schnell nach Süden, um am Ufer auf einem Campingplatz im Norden von Amsterdam erstmals das Zelt aufzuschlagen.

Anderntags geht’s, nach kurzer Visite in Amsterdam, endlich nach Süden, gen Flandern. Bei Antwerpen überquere ich die Schelde, um sie anschließend zu Fuß wieder zu unterqueren, hinein in die Diamantenstadt – hinab in den Tunnel führt eine hölzerne Rolltreppe, es ist die älteste in Europa. Nach der raschen Durchquerung von Restbelgien und dem putzigen Luxemburg werde ich in der Eifel erstmals von der Rennleitung – pardon, von der Polizei angehalten und kontrolliert. Es geht um Drogen. Ich kann nicht dienen und darf weiterfahren, immer am Rhein entlang, dem ich hier zum ersten Male begegne, sein metallischer Geruch wehte ihm voraus. Bei Karlsruhe empfiehlt sich ein Abstecher hinüber nach Frankreich, der Vogesen wegen und weil man von dort einen atemberaubenden Blick auf den Schwarzwald hat, den ich großräumig umfahre. Auf der Höhe von Basel schwenke ich nach Osten, in die Schweiz hinein und nach Schaffhausen – zweite Begegnung mit dem Zoll, diesmal geht’s um Devisenschmuggel in die Schweiz. Ein Verdacht, der schnell zerstreut ist. Weit beeindruckender als erwartet tost dort der Rheinfall, hindert mich aber nicht an der Weiterfahrt nach Süden, zumal es bereits dämmert und ich im Gebirge übernachten will.

Der dritte Tag bietet endlich die schmalen Serpentinen, die das Motorradfahrerherz schneller schlagen lassen. Leider nicht das Wetter. Am Lago Maggiore, dem südlichsten Punkt der Reise, dümpeln die Ausflugsboote in strömendem Regen, keine Besserung in Sicht. Also fliehe ich, längst rauschhaft getrieben, über den Hauptkamm der Alpen nach Norden, vorbei an Bellizona, Sankt Moritz, Davos und Sils Maria, um abends noch in Salzburg zu sein. Die Strecke entpuppt sich als genau die Orgien aus Serpentinen, funkensprühenden Schräglagen und hinter jeder Kurve wechselnden Ausblicken in immer neue Abgründe, für die Motorradfahrer dieses Gebirge lieben. Leider erwische ich irgendwann vor lauter Begeisterung den falschen Pass und lande in Italien. Macht nichts, wieder zurück, streng nach Norden, um gleich hinter der Grenze von Liechtenstein mein Zelt aufzuschlagen. Die Wiese ist feucht, es dämmert, in Vaduz findet offenbar ein Länderspiel statt. Der Jubel hallt sprichwörtlich und buchstäblich durchs ganze Land. Der Nacken tut weh, der Hintern auch. Überdies nagen erste Fragen nach dem Sinn dieser Tour. Ich entkomme ihnen rechtzeitig in einen tiefen Schlaf.

In der Eifel stoppt mich erstmals die Rennleitung. Pardon: die Polizei

Am Morgen geht es noch vor Sonnenaufgang nach Österreich hinein, keine Pässe mehr, nur noch großzügig gewellte Bundesstraßen bis Kufstein. Nach dem Frühstück am Chiemsee halte ich bei strahlendem Sonnenschein auf den Bayerischen Wald zu und überquere die grüne Grenze nach Tschechien, wo ich wieder eine außerplanmäßige Pause einlege, weil er allzu schön ist, der Böhmerwald. Als ich über das herrlich verrottete Pilsen schließlich Prag erreiche, ist schon später Nachmittag. Ein schneller Kaffee mit Blick auf den Hradschin, denn ich muss mich sputen, um vor Einbruch der Dunkelheit über das Erzgebirge gefahren und in Zittau angekommen zu sein – natürlich nicht, ohne zuvor den obligatorischen Schlenker ins Dreiländereck gemacht zu haben, denn die polnische Landschaft muss noch mit rein in meine Sammlung internationaler Randgebiete.

Seit mindestens zwei Tagen fahre ich wie in Trance, die letzten Kilometer zurück nach Berlin verglühen im gefräßigen Licht meines Scheinwerfers.

Noch Monate danach rollen in meinem Kopf Ausschnitte aus diesem Film ab, mit Klang und in Technicolor, regelrechte Flashbacks, als wär’s ein LSD-Trip gewesen anstatt einfach nur ein Traum von einem Trip.

Deutschland ist da. Es geht.