Im Kumpelinnennest

DAS WAR DIE WM Im Rückblick fragt sich das taz-Team, wo der kalte Blick der Stiefmutter geblieben ist, warum exakt 76 Streitgespräche über den Charakter von Marta geführt wurden und ob das Turnier 2015 in Kanada eine Bläh-WM wird

Und das war meine WM: 493 teilweise elend lange Diskussionen darüber, wie langsam Frauen Fußball spielen. 314 Lacher über schlecht getretene Ecken. 254 meistens ganz schlechte Witze über eine Handballeinlage im Strafraum. 134 Fragen, welche Frau mit Frauen schläft. 76 Streitgespräche über den Charakter von Marta. Fünf Bier beim schlecht besuchten Public Viewing im Biergarten. Und ganz viel Abwinken, wenn es um die deutsche Nationalmannschaft geht. Viele öde Spiele. Ein paar Spitzenspiele. Langeweile und Dramatik meistens am späten Nachmittag. Eine WM im Vorabendprogramm. Trainer, die ihre Mannschaften streicheln. Eine strenge deutsche Trainerin. Doping. Eine Sportart im Aufbruch, für die die Bühne in Deutschland vielleicht doch ein wenig zu groß war. Und manchmal richtig gutes Publikum: Pfiffe für Sepp Blatter beim Finale. Danke dafür!

ANDREAS RÜTTENAUER

Waren das, was uns 22 Tage lang als WM geläufig war, lesbische Aktionswochen? Hat es der Idee der sexuellen Vielfalt genützt – Frauenfußball in solch öffentlichem Rahmen zelebrieren zu lassen? Schätzenswerterweise darf gesagt werden: Die Verve, mit der Nigerias Trainerin sich zufrieden auf die Brust schlug, weil sie, so teilte sie mit, homosexuelle Frauen aus ihrem Team eliminiert habe, schlug gegen sie selbst zurück: Nie wurde der Diskurs um weibliche Homosexualität so mächtig geführt wie bei dieser WM. Dass Frauen homosozial miteinander umgehen können, unabhängig von irgendeiner Vermutung über sexuelle Begehrensformen, bewiesen am eindrücklichsten die Japanerinnen. Ein einziges Kumpelinnennest! Lesbophobie, das bewies auch die nigerianische Frauschaft, lohnt sich nicht: Man scheidet in der Vorrunde aus.

JAN FEDDERSEN

Sie war die Catwoman des Turniers, die ladylikeste Lady. Hope Solos krass-geile Paraden und ihre umwerfende Eleganz waren eine Augenweide. Im dramatischen Spiel gegen Brasilien war sie die tragische Figur – ihre Parade gegen Cristiane wurde von der Schiedsrichterin zunichtegemacht, gegen Marta hatte sie keine Chance, und im Elfmeterschießen hielt sie den Schuss der unglücklichen Daiane. Nur im Finale konnte sie nicht glänzen – der American Spirit schien aufgebraucht. Aber das nimmt ihr nicht den Glanz, und ihre Tränen im Goldglitter nach dem Abpfiff tragen nur zum Heldinnenmythos bei. Sie machen die Geschichte der Frauen-WM komplett. DORIS AKRAP

Die sind im Durchschnitt ja nur 1,63 Meter groß. Die sind viel kleiner als ihre Gegnerinnen. Aya Miyama ist ja nur 1,57 Meter.

Sie schießt den Ball mit ihren kleinen Füßchen (Schuhgröße 34). Die sind ja alle so klein, die Asiatinnen, der Durchschnitt liegt bei 1,63. Ein Duell auf Augenhöhe ist das ja nicht. Homare Sawa ist ja auch nur 1,64 groß. Das ist nur 1 cm mehr als der Durchschnitt der Asiatinnen, der liegt bei 1,63. Karina Maruyama ist ja auch nur 1,62 groß. Die ist ja einen Kopf kleiner als ihre Gegenspielerin. Um die Lufthoheit im Strafraum der Gegnerinnen erringen zu können, sind die Japanerinnen zu klein. Im Schnitt sind die ja nur 1,63 groß. Sie sind klein, wendig und schnell. Und technisch versiert. Bei 1,63 müssen sie das auch sein. Sage niemand, er habe bei dieser WM nichts gelernt. DENIZ YÜCEL

ARD und ZDF hatten es fest vorprogrammiert: Ein Sommermärchen sollte die WM sein. So wohlig warm und rosenumrankt, wie Märchen nun mal so sind, mit ihrer Garantie auf ein glückliches Ende. Aber etwas Entscheidendes haben die Öffentlich-Rechtlichen dabei vergessen: Wo war der kalte Blick der Stiefmutter? Keine kritischen Video- oder 3-D-Analysen in den Halbzeitpausen, stattdessen plauderten die Moderatoren lieber munter mit den Expertinnen an ihrer Seite. Höhepunkt: Das Interview im ZDF von Katrin Müller-Hohenstein mit Silvia Neid nach dem Aus im Viertelfinale. Salbungsvolle Töne, KMH schien mitleidig zu kondolieren, statt Mannschaftsaufstellung oder Einwechslungen zu hinterfragen. WM-Berichterstattung weichgespült. Aus Angst vor irgendwas setzten die Sender lieber komplett auf eine emotionale Aufbereitung. Dabei ist an ihnen vorbeigegangen, wofür sich die Zuschauer (auch) interessierten – nicht nur für Märchen, sondern für Sport.

JUDITH PAPE

Es gab zwar das Erwartete: Anfangs schwarz-rot-goldene Partystimmung, Politiker wie Claudia Roth, die sich an das Nationalteam heranwanzten. Reporter, die Spielerinnen fragten, warum sie konsequent den freien Mann übersehen hätten oder sich nach Einkäufen, Streuselkuchenrezepten oder Zukunftsplänen im Hundesalon erkundigten. Es überwog aber das Unerwartete: das Ausscheiden der Deutschen und das dennoch anhaltende Interesse am Turnier, Sachdiskussionen darüber, ob Birgit Prinz in der Sturmmitte oder besser im Mittelfeld aufgehoben ist, bornierte Publikumsbeschimpfungen von Marta, und das Ausmaß der medialen Durchschlagskraft dieser WM. Bei einem Fußballspiel mit meinem siebenjährigen Sohn zu Hause kommt es zur folgenden Rollenaufteilung: Er will Brasilien und die Torhüterin Andreia sein, ich soll Deutschland und Kerstin Garefrekes sein. Da darf man nicht meckern.

JOHANNES KOPP

Jede WM braucht ein Arschloch. Marta hat diese Rolle übernommen und hingebungsvoll durchdekliniert: Foulspiel, Streiten mit der Schiedsrichterin, himmelschreiende Arroganz dem gastgebenden Publikum gegenüber und kein Interesse daran, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie war nur auf ihren eigenen Erfolg gepolt und ist damit gescheitert. Schade, ihre fußballerischen Leistungen hätten einen Titel für sie mehr als gerechtfertigt. FRAUKE BÖGER

Deutschland – Argentinien 11:0. Das war einmal. Stattdessen hieß es bei diesem Turnier: Nigeria – Frankreich 0:1, Kolumbien –Schweden 1:2. Die Zeiten der Klatschen sind vorbei. Und auch wenn es für die Teams aus Äquatorialguinea, Kanada, Kolumbien nicht zu einem Sieg gereicht hat, die kleinen Nationen sind nicht mehr als reines Kanonenfutter unterwegs. Die Folge: Viel mehr Spannung in der Vorrunde. Mehr aber auch nicht, ganz große Überraschungen blieben aus. Probleme gab’s vor allem im Offensivspiel. Kolumbien und Nordkorea blieben ohne Torerfolg, Kanada schaffte nur 3 Torschüsse im Turnier. Doch in der Defensive wurde gekämpft und getreten. Härter denn je. Das endete zwar in der torärmsten Frauen-WM aller Zeiten, aber das muss keine schlechte Nachricht sein. Bei den Männern ist der Schnitt nämlich noch mieser.

LENNART WEHKING

Es ging dann doch sehr schnell mit der Vertragsverlängerung für Silvia Neid. Eine Analyse nach dem Aus gegen Japan blieb aus – ein weiterer Beweis für Neids Egoismus und ihr Talent zum Eskapismus. Beides hatte sie im Verlauf des Turniers zur Schau getragen. Die Probleme verortete sie allseits woanders: im übermenschlichen Erfolgsdruck, im harten Spiel der Gegnerinnen, im Verletzungspech. Kein Wort zu spielerischen Defiziten, taktischer Starrheit, mangelhaftem Coaching. Kein Wort zu ihrer Verantwortung. Stattdessen wurde die schwierige Situation einer Birgit Prinz instrumentalisiert und eine präsidial-mütterliche Attitüde gepflegt, die den Eindruck von Unschuld und Kompetenz aufrechterhalten sollte. Neid fehlte das, was Prinz auszeichnet: Der Mut, sich selbst infrage zu stellen.

DOMINIK WEHGARTNER

Liebe Leser, sicher freuen Sie sich schon auf die kommende WM. Die ist dann in Kanada. Mit noch viel mehr Frauenfußball als jetzt. Denn erstmals wird eine WM mit 24 Mannschaften ausgetragen, acht mehr als in Deutschland. Das wird dann bestimmt sehr lustig, wenn Burundi und Papua-Neuguinea mitmischen dürfen. Blatters Blähprinzip kennt ja keine Grenzen. Warum nicht 2019 eine Weltmeisterschaft mit 28 Teams und 2023 eine mit 32? Wäre doch nur gerecht. Auch im Frauenfußball muss alles größer werden, umfangreicher und weltumspannend. Mal sehen, ob man in vier Jahren zur Prime Time Bilder aus Kanada sendet. Oder geht der Sturmvogel namens Hype bei seinem Flug über den Großen Teich baden?

MARKUS VÖLKER