Die Sprachen des Todes

Die Koreanerin Kim In-Sun hat einen Hospiz-Verein gegründet. Er will die Kunst der „kultursensiblen“ Begleitung von Sterbenden vermitteln

Einige Teilnehmer konnten zum ersten Mal in ihrem Leben über sich nachdenken

VON UTE SCHEUB

Soogi Kang streckt die Zunge heraus. Bääh! Fünfzig KoreanerInnen und zehn Deutsche tun es ihr nach. Weiter, noch weiter! Bäääähähähä! Alle lachen. Ja, das lockert Zunge, Hals und Stimmbänder. Danach kann man wunderbar singen. Soogi Kang, im langen schwarzen Gewand, schlägt die Trommel und singt vor. In Südkorea war sie Schamanin, jetzt lebt sie als Schauspielerin und Theaterpädagogin in Deutschland. Man spürt Kraft in ihrer Stimme, ihren Bewegungen. Zu den Koreanerinnen, die sich in konfuzianischer Demut üben, gehört sie nicht.

Soogi ist ins Gründerinnenzentrum Charlottenburg-Wilmersdorf gekommen, wo der Interkulturelle Hospiz-Verein Dong Heng zwei Räume belegt. „Dong Heng“ heißt „begleiten“, erklärt Kim In-Sun. Die 57-jährige Koreanerin ist alles zugleich: Vereinsgründerin, Krankenschwester, Diakonisse, Theologin und Seelsorgerin. Und das Herz und die Seele von Dong Heng.

Der Zweck des Vereins ist die „kultursensible Begleitung“ von Todkranken: Im mittlerweile dritten Kurs seit der Gründung im Jahr 2005 werden ehrenamtliche SterbebegleiterInnen ausgebildet. Die einjährigen Kurse finden zweimal im Monat am Abend oder an den Wochenenden statt, sie umfassen 90 Stunden Weiterbildung und ein Praktikum von 40 Stunden im Hospiz des St.-Joseph-Krankenhauses oder anderswo. Nahmen anfangs hauptsächlich KoreanerInnen teil, so stammen die TeilnehmerInnen des dritten Kursus aus Deutschland, Japan, Korea und Griechenland. „Durch die Begegnung mit anderen Kulturen kann ich meine Dialogfähigkeit vertiefen“, sagt eine deutsche Sozialarbeiterin. „Ich will hier nachdenken, was für mich Sterben und Tod bedeutet. Erst wenn ich das für mich getan habe, kann ich das an andere weitergeben“, meint eine Koreanerin, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Eine Japanerin gibt zu, dass ihr der Unterricht in deutscher Sprache schwerfällt. „Aber es geht hier auch darum, Körper- und Sinneswahrnehmungen zu trainieren. Sterbende können ohnehin nicht mehr viel reden.“ Auf dem Weiterbildungsprogramm stehen auch die Sterberituale der Weltreligionen: Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Schamanismus.

Seit 35 Jahren lebt Kim In-Sun in Deutschland. Ihr Deutsch ist flüssig, ihr Lachen herzlich, sie ist, wie sie selbst sagt, „gut integriert“. Nach Südkorea will sie keinesfalls zurück, schon weil dort die Frauen „sich den Männern viel mehr unterordnen müssen als hier“.

Eines Tages fragte sie sich, wo sie eigentlich begraben werden will. In Deutschland? In Korea? Sie entschied sich für eine Seebestattung. Und gelangte dabei zu der Überzeugung, dass dies nicht ihr privates Problem, sondern das aller MigrantInnen ist. Allein in Berlin leben 40.000 OstasiatInnen, davon 5.000 KoreanerInnen. Und sie wollte etwas dafür tun, dass diese in ihrer vertrauten Umgebung sterben können oder in einem der 8 stationären und 30 ambulanten Hospize Berlins – begleitet von Menschen, die ihre Sprache, Kultur und Religion kennen.

„Die meisten Ostasiaten sind sehr zurückhaltend“, sagt Kim In-Sun, „sie glauben, dass sie ihre Probleme nicht nach außen tragen dürfen. Das macht die Sache manchmal schwierig.“ In der Selbstdarstellung von Dong Heng heißt es dazu: „Fremde Gewohnheiten und unterschiedliche Religionen sowie verschiedene Krankheitsauffassungen und ein anderer Schmerzausdruck können im Alltag zu Missverständnissen führen. Das erfordert einfühlsame Begleitung und Unterstützung.“

Nach Abschluss der bisherigen Kurse wollten nicht alle der – mehrheitlich weiblichen – TeilnehmerInnen tatsächlich Sterbende begleiten. „Einige waren selbst krank“, erzählt Kim In-Sun. „Sie hatten in diesem Kurs die Chance, zum ersten Mal in ihrem Leben über sich selbst nachzudenken. Früher hatten sie zu allem Ja gesagt, nun lernten sie, auch einmal Nein zu sagen. Das war für sie wie eine Therapie.“

Wie finanziert sich der Verein? Ein einjähriger Kurs kostet 150 Euro – das kann doch nicht alle Kosten decken? Kim In-Sun druckst ein wenig herum: ein schwieriges Kapitel. Nicht einmal sie selbst wird bezahlt, sie arbeitet halbtags als Krankenschwester und danach in ehrenamtlicher Vollzeit für Dong Heng. „Wir brauchen dringend Sponsoren“, sagt sie.

Am 30. 6. findet im Rathaus Charlottenburg um 15 Uhr ein Benefizkonzert zugunsten von Dong Heng statt. Unter anderem tritt Schamanin Soogi Kang auf. Mehr Infos: www.dongheng.de