Kleine Betrüger haben es gut

SEILSCHAFTEN Veruntreute Fördermittel in Höhe von 160.000 Euro wollte der Senat zurück. Doch die Staatsanwaltschaft hat fünf Jahre lang nicht ermittelt. Nun ist das Geld futsch

Die Linkspartei bestrafte parteiintern den Mann, der die Betrügereien aufgedeckt hatte: Er wurde als sozialpolitischer Sprecher abgesetzt

VON KLAUS WOLSCHNER

Die Geschichte der „Interkulturellen Werkstätten“, so erzählte ihr langjähriger Boss und Vereins-Geschäftsführer Hafid Catruat diese Woche vor Gericht, begann ganz harmlos: Er sei in einer marokkanischen Großfamilie aufgewachsen, in Tenever, und so gründete er 1995 einen Verein, über den gegenseitige Hilfe organisiert werden konnte. Der „Vorstand“, der ihm vollkommene Vollmacht gab und über dessen „Sitzungen“ keine Protokolle abgefertigt wurden, bestand aus Mitgliedern der Familie, Brüdern, Vettern, Freunden. Man half sich.

Catruat war aber nicht nur in der eigenen Familie und der marokkanische Szene Tenevers gut vernetzt, sondern auch Mitglied bei der Linkspartei und in der „Stadtteilgruppe Tenever“. Stadtteilmanager „Barlo“ Joachim Barloschky lässt bis heute nichts auf Catruat kommen, dem er half, wo es nötig war. Als 2007 der Spiegel Catruat fragte, was das Thema seiner Diplomarbeit sei, an der er damals schrieb, war Catruats entwaffnende Antwort: „Das weiß ich nicht ganz genau. Das müssen Sie Barlo fragen.“

Irgendwann habe er erfahren, berichtete Catruat nun vor Gericht, dass es für die ehrenamtliche Arbeit der arbeitslosen Vetter und Brüder „Injobber“-Geld geben könne, wenn man das bei richtigen Stellen im System des Sozialstaates anmelden würde. „Ich wusste gar nicht, was man dafür machen muss“, erklärte Catruat dem Gericht.

Kein Problem: Bei der „Bremer Arbeit GmbH“, die diese Gelder verwaltet, saßen Freunde von der Linkspartei, die halfen gern. Claudia Bernhard, heute in der Bürgerschaft für die Linkspartei, war damals die zuständige Mitarbeiterin, sie sollte die Verwendung der Gelder kontrollieren. Catruat und sie waren per „Du“ und liefen Arm in Arm über den Flur der IWT, berichten Mitarbeiter. Bernhard half ihm, die Gelder korrekt zu deklarieren, so müsste man diese Form der Aufsicht wohl besser beschreiben.

Das war auch so, als Catruat darauf hingewiesen wurde, dass er sechsstellige Summen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) beantragen könne, für „Projekte“. Anwalt Andreas Berenthal, der zeitweise wegen Insolvenz seine Zulassung verloren hatte, kümmerte sich um die Anträge. Der habe herausgefunden, berichtet Catruat, dass er als Geschäftsführer und der Anwalt, der als Buchhalter für die IWT arbeitete, 4.000 Euro brutto als Monats-Gehalt verdienen könnten. Da waren sich beide schnell einig. „In einer Besprechung mit Claudia Bernhard ist dann aufgefallen, dass das so nicht geht“, berichtete Catruat – der Europäische Sozialfonds (ESF) begrenzt die Löhne auf 3.200 Euro. Und so habe man vereinbart, berichtete Berenthal, dass die legal zahlbare Summe über Umwege aufgestockt wird – seine Frau sollte einen fingierten Vertrag bekommen, Catruat auf Firmenkosten einen Leihwagen.

2009 flog der Schwindel auf. Volker Schmidt, der arbeitslose sozialpolitische Sprecher der Linkspartei, bekam eine ABM-Stelle bei der IWT, wollte die Betrügereien aber nicht mittragen. Da die Geschäftsführerin der Bremer Arbeit nicht auf seine Hinweise reagierte, wandte er sich an die Sozialbehörde. Die stellte nach kurzer Prüfung fest, dass von einer ordnungsgemäßen Verwendung der Mittel keine Rede sein könne, und sperrte die Mittel. Damit war der Verein IWT am Ende, er konnte keine Löhne mehr bezahlen. Eine weitere Aufklärung durch die Innenrevision des Sozialressorts konnte aber nicht stattfinden – die eingeschaltete Staatsanwaltschaft beschlagnahmte alle Akten, ohne allerdings wirklich zu ermitteln. Und die Linkspartei? Die bestrafte Schmidt – er wurde als sozialpolitischer Sprecher vom Vorstand abgesetzt.

Das Gericht verurteilte den buchhaltenden Anwalt zur Zahlung einer Geldbuße von 50 Mal acht Euro. Die 15.000 Euro zurückzahlen muss derweil niemand. Die Begünstigte der „Untreue“, Inhaberin eines Buchführungsservice, habe ihre Kontoauszüge nie genau angeguckt, ließ sie ihren Mann vor Gericht erklären. Das reichte dem Gericht zum Nachweis ihrer Unschuld. Und Geschäftsführer Catruat erklärte, er habe die Lohnzettel seines Vereins nie kontrolliert, auf dem monatlich immer nur die Gesamtsumme von gut 20.000 Euro stand. Das reichte dem Gericht und der Staatsanwaltschaft für die Feststellung der Geringfügigkeit.

Andere Verdachtsmomente aus den umfangreichen Akten der IWT hatte die Staatsanwaltschaft nicht zur Anklage gebracht. Der Senat hat daher wenig Anhaltspunkte, um die 160.000 Euro zurückzufordern.