Die Radikalen

Es geht ja auch um Geld. Viel Geld. Schluss ist es jetzt mit den Schmeicheleinheiten und die Debatte über das Milliardenprojekt Stuttgart 21 endlich da angekommen, wo der neue Bahnhof liegen soll: auf einem reichlich unterirdischen Niveau

Locker wegstecken Ooch, kein Grund zur Aufregung … Ein Bundesländle der freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik, welches einen Nazi-Marinerichter-Gnadenlos, der selbst noch nach „Hitler kaputt“ Todesurteile gegen aufrechte Deserteure verhängte und welches ihn als BW-MP eine Dekade mehr begrüßte als ertrug, wird doch wohl locker ein paar radikale, ohnehin nur „sogenannte“ Parkschützer im Verkehrsministerium wegstecken können, oder? canislauscher

von Meinrad Heck

Im Verkehrsministerium, so ist in diversen Blättern neuerdings nachzulesen, arbeitet jetzt einer dieser Parkschützer. Präzise formuliert: ein radikaler Parkschützer. Also einer aus der Truppe, die laut Deutscher Bahn AG zum besagten „radikalen Kern“ der Protestbewegung gehört. Deswegen überlegen sich die Herren Eisenbahner, wie zu lesen war, allen Ernstes, in einem Zivilprozess „richtig Kies zu machen“.

Sie wollen dem baden-württembergischen Verkehrsminister eine Klage anhängen, weil der als Regierungsmitglied das Projekt gefälligst zu fördern und nicht mit einer „Kampftruppe“ zu torpedieren habe. Zu dieser Kampftruppe zählt die Bahn jene Parkschützer, von denen einer nun also im Verkehrsministerium sitzt und Dienst am Bürgertelefon schiebt.

Die Zeiten werden also härter.

Keine freundlichen Briefe und höflichen Wortwechsel mehr. Nichts mehr mit einem „Hallo, Herr Hermann“, wie der Bahnmanager Dr. Volker Kefer den neuen baden-württembergischen Verkehrsminister zwecks Klärung einiger Millionensummen unlängst noch zu begrüßen pflegte. Schluss also mit den Schmeicheleinheiten.

Nicht nur ein paar Medien, sondern auch die Justiz hat diese selbst ernannten, also die „sogenannten“ Schützer allesamt längst in der kriminellen Ecke verortet, könnte man meinen. Sie sollen für knalltrauma- und kehlkopfverletzte Polizisten und für 1,5 Millionen Euro Sachschaden bei jener Baustellen-Erstürmung vom 20. Juni verantwortlich sein und bezahlen. Jeder Einzelne von diesen Radikalen, die dabei waren, und sei es nur, dass sie zugeschaut und böses Tun geduldet hätten.

Unglücklicherweise muss diese Justiz der Wahrheitsfindung zuliebe jedes Wort – eigentlich auch das eigene – auf die Goldwaage legen. Dann, und erst dann, wird sich zum Beispiel erweisen, ob es um Millionen oder nur ein paar zehntausend Euro Schaden geht. Die Deutsche Bahn stünde dabei ausnahmsweise vor einer völlig neuen Herausforderung. Sie müsste Kosten plötzlich nicht klein-, sondern möglichst hochrechnen. Und sie müsste diese Hochrechnung in einem Schadenersatzverfahren zwecks Baustellenschäden auch noch offenlegen und vor allem beweisen. Diese Millionendebatte passt den Eisenbahnern zwar möglicherweise in ihr kommunikatives Konzept, sie ist und bleibt aber bis zu ihrem Beweis nichts anderes als reiner Popanz.

Und dann noch diese Parkschützer. Diese „sogenannten“ oder diese „radikalen“, zu denen ja (Achtung: Goldwaage) alle zählen, weil nicht von einigen, sondern immer nur von den Mitgliedern geredet und geschrieben wird. Und jetzt sitzt einer von denen im Knast, weil er einen Polizisten verprügelt haben soll, und ein anderer auch noch in einem Ministerium. Noch dazu in einem wichtigen.

Das hätte es früher nicht gegeben. In jenen Zeiten, als in einem sogenannten Ministerialblatt aus dem Jahr 1974 auf Seite 324 etwas von gewissen „Grundsätzen“ zu lesen war. Das Papier erinnerte Beschäftigte im öffentlichen Dienst seinerzeit an ihre Treuepflichten gegenüber dem Staat, falls nicht, drohte Berufsverbot. Es trug im Volksmund den hübschen Namen „Radikalenerlass“.