„Groß! Ganz groß!“

Neuwahlen? Sozialismus? Oder doch neue Lebenslügen? NRW rätselt über Jürgen Rüttgers‘ Sommeridee

Der Mann plant doch etwas. Etwas ganz Großes. Wie mittlerweile fast jeden Sommer. Wenn sich Jürgen Rüttgers nach einem harten Frühjahr endlich in den verdienten Urlaub in der Provence verabschiedet hat, wird irgendwann ein südfranzösisches Telefon klingeln. Dann ist die Zeit gekommen. Die Zeit für das große Sommergespräch mit dem großen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen.

Im vergangenen Jahr war es das kapitalismuskritische Stern-Interview des Hartz-Revisors zur Lebenslüge Steuersenkung, zuvor die Rechtschreibreform und die Gastarbeiter. Und weil die politische Sommerpause ohne Rüttgers‘ provençalische Inspirationen bundes- wie landespolitisch recht fad ist, fragen sich Freunde wie Gegner, womit der Christdemokrat in diesem Jahr aufwartet. „Wir haben nicht geplant irgendetwas groß hochzuziehen“, sagt sein Regierungssprecher Andreas Krautscheid. Dann aber droht er damit, dass sein Chef auch in den Ferien stets „reaktionsfähig“ sei, wenn ein weltwichtiges Thema seines Kommentars bedürfe.

Rüttgers‘ Koalitionspartner hat auch schon einen konkreten Wunsch für den Auftritt des Sommers. „Er könnte die Leistung der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf mit der der großen Koalition in Berlin vergleichen“, schlägt FDP-Generalsekretär Christian Lindner vor. Das Ergebnis der selbstverständlich tief schürfenden Analyse kennt der Liberale natürlich auch schon: Neuwahlen im Bund. „In der Sache wäre das richtig“, sagt Lindner. Auch die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann hat einen Ratschlag für die Frankreich-Offensive parat: „Wenn er sich weiter um Lebenslügen kümmern will, sollte er sich mit dem dreigliedrigen Schulsystem auseinandersetzen“, sagt sie.

Während die kleineren Landtagsparteien noch rätseln, glaubt die SPD das Thema der Saison gefunden zu haben. „Es gibt eine neue Rote-Socken-Kampagne“, ahnt SPD-Sprecher Dirk Borhart. Nach Linkspartei-Gründung und überraschendem Che-Guevara-Poster-Fund auf dem Flur der sozialdemokratischen Landtagsfraktion bastle die CDU am Feindbild einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit. Sicheres Indiz: Die Junge Union beehrte die SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft mit einem „sozialistischen Urlaubspaket“, bestehend aus SED-Shirt und DDR-Fahne. Für den Urlaub in Nordkorea, Kuba oder China, witzelte JU-Chef Sven Volmering.

Für den Meister selbst dürfte Weltpolitik in diesem Jahr allerdings schon die richtige Kragenweite sein. Deutschland hat er im vergangenen Jahr aufgemischt, Angela Merkel hat er plötzlich auch wieder lieb – und die Landespolitik ist dem Israel-Staatsbesucher und Polen-Versteher schon lange zu eng. Aber was nur? Raketenabwehrschirm? Iran-Unterhändler? Ein Friedensvorschlag für den Nahen Osten? Alles schon vergeben. Das eine macht Putin, das andere Steinmeier, um Gaza kümmert sich Blair. Für Rüttgers bleiben wohl doch nur die Neuwahlen in Deutschland.

Welche der vielen Anregungen der Ministerpräsident am Ende aufnehmen werde, hält die Staatskanzlei weiterhin geheim. „Wir nehmen keine Wetten an“, sagt Regierungssprecher Krautscheid. Auch das glückliche Medium, das die zu erwartende Botschaft des Herrn überbringen darf, ist noch unbekannt. Nur eins ist klar: Die taz wird es nicht sein. Mit Hinweis auf seinen „extrem vollen Terminkalender“ hat Jürgen Rüttgers eine Interviewanfrage für diesen Sommer abblitzen lassen. KLAUS JANSEN