St. Pauli auf Finnisch

Eine Nacht in einem Backpacker-Hostel in St. Pauli: Drei Finninnen finden heraus, dass das Astra-Herz kein Kennzeichen für Schwulenbars ist und bummeln durch die Sexshops. Für Managerin Tanja Bahr ist das Hostel eine zweite Heimat

von KARIN CHRISTMANN

Ich bin in Hamburg unterwegs, der Stadt, in der ich jeden Tag arbeite und meine Wege kenne. Aber heute brauche ich trotzdem einen Stadtplan: Wer kennt schließlich dort, wo er selbst wohnt, ein Hostel? Mein Ziel ist das „Backpackers St. Pauli“, in dem ich mich in das Hamburger Hostel-Leben einfühlen will. Hostels sind in großen Städten die hippe Alternative zur Jugendherberge: Sie werden meistens von Rucksackreisenden bevölkert, die billig schlafen und Leute kennenlernen wollen und dafür große Schlafsäle und Flurduschen in Kauf nehmen.

Das Schönste am Übernachten in Hostels klappt sofort: Leute kennenzulernen und mit ihnen die Stadt zu erkunden. Fünf Minuten, nachdem ich mein Zimmer zum ersten Mal betreten habe, stehe ich schon wieder vor der Tür des Hostels und mache mich mit meinen drei finnischen Zimmernachbarinnen auf den Weg zu einer Nacht auf dem Kiez. Unterwegs mit Emma, Elsa und Hedda sehe ich St. Pauli mit finnischen Augen: Die Kneipen, die ein rotes Astra-Herz über der Tür hängen haben, sind dann Schwulenbars – das haben die Finninnen geglaubt, bis sie bemerkten, wie viele Herz-Kneipen es gibt.

Die größte Sensation für die drei sind die vielen Sexshops. Vor der Tür von einem der größten beeilen sie sich, ihr Astra auszutrinken, um dann ausgiebig Sextoys und Gummipuppen anzuschauen und sie kichernd zu diskutieren. Auf Heddas Einkaufszettel ganz oben steht allerdings etwas anderes: ein T-Shirt mit Totenkopf und St. Pauli-Schriftzug. Als ich ihr den Weg zum Millerntorstadion mit seinem Fanshop erkläre, kann sie es nicht fassen: Die Shirts, die es bis auf die Straßen von Helsinki geschafft haben und dort ihren Trägern maximale Lässigkeit bescheinigen, gehören tatsächlich zu so etwas Schnödem wie einem Fußballclub.

Die Schwestern Emma und Elsa Kemppainen touren mit ihrer Freundin Hedda Wallen per Interrail durch Europa. Emma träumt davon, in ein paar Jahren mit ihrer Electro-Band „Le corps mince de Françoise“ unterwegs zu sein. Zur Vorbereitung kundschaftet sie jetzt die europäische Clubszene aus und hat sich auf ihrer ersten Station im Backpackers St. Pauli einquartiert.

Von außen sieht das Hostel mit seiner bunt bemalten Hauswand fröhlich und einladend aus. Von innen ist es viel schlichter: Die Wände sind in einem nüchternen, hautfarbenen Ton gestrichen, die bunten Wandgemälde, die sich in vielen Hostels finden, gibt es hier nicht. Leider fehlt auch eine Gemeinschaftsküche, das Herz vieler Hostels. Der einzige Gemeinschaftsraum liegt etwas versteckt im Keller. Die St. Pauli-Backpacker müssen also auf selbst gekochte Nudeln und Tütensuppen verzichten und ihr Reisebudget strapazieren, um sich warmes Essen zu kaufen. „Wir müssten groß umbauen, um eine Küche zu bekommen“, sagt Pinky, die den Gästen am Morgen das Frühstück in dem kleinen zugehörigen Café verkauft. „Es ist schade, aber im Moment geht es nicht.“

Die 55 Betten des Hostels, die sich auf Doppel- und Mehrbettzimmer verteilen, sind dafür umso besser: Bequem und mit extra-fluffigen Kopfkissen. „Ich habe noch nie so gut geschlafen wie letzte Nacht hier im Hostel“, sagt Emma. Auch die Türen sind mit ihren Code-gesicherten Schließanlagen auf dem Stand der Technik, und jeder Besucher hat im Zimmer einen abschließbaren Schrank. Dass das Hostel erst im April 2007 eröffnet hat, merkt der Besucher schnell: Die Möbel duften noch nach Holz und haben keine Schrammen, die Badezimmer sind geradezu unheimlich neu und sauber.

Als Elsa und ich nachts um halb zwei ins Hostel kommen, ist Managerin Tanja Bahr immer noch da. Auf die Frage nach ihrem Feierabend zückt sie nur ihren Schlüsselbund mit den Hostelschlüsseln: „2. Heimat“ steht dort in großen roten Buchstaben auf dem Schlüsselanhänger. Emma und Hedda tanzen immer noch im Golden Pudel Club – ihre Nacht auf dem Kiez endet erst am nächsten Morgen um halb zehn, als sie müde die Tür zum Hostel aufschieben und sich auf ihre weichen Betten freuen.