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Krimis als Museumsstücke

Literaturgeschichtlich interessierte Krimi-Fans finden ab Sonntag auf der Halbinsel Butjadingen spannende Lektüre aus den Anfängen des Genres. Der Sammler, Bibliograf und Verleger Mirko Schädel eröffnet das erste deutsche Krimimuseum

Krimi-Leser mit Sinn für Antiquarisches kommen jetzt hinter Deichen und Viehweiden auf ihre Kosten: Etwa eine Autostunde nördlich von Bremen eröffnet am morgigen Sonntag auf der Landzunge Butjadingen zwischen Jadebusen und Wesermündung der Sammler, Bibliograf und Verleger Mirko Schädel das erste deutsche Krimimuseum. Und das räumt mit einigen Legenden auf. Eine davon lautet: Erst ab 1945 habe sich in Deutschland eine Krimitradition etabliert.

Hinter Glas, in Vitrinen aus der Gründerzeit, lauert auf Schädels Resthof in Stollhamm das fiktive Verbrechen – verfolgt und am Ende aufgeklärt. Die Rede ist von rund 4.500 ziemlich seltenen, im deutschsprachigen Raum erschienenen Büchern aus der Zeit bis 1945. Die ältesten davon sind über 200 Jahre alt. Mehr als 16 Jahre hat der Sammler dafür in Antiquariaten, Archiven und zuletzt auch in der Internet-Auktionsbörse Ebay gestöbert.

„Wenn ich früher in Antiquariaten nach Kriminalromanen vor 1945 fragte, dann hieß es dort grundsätzlich: Es gab nicht so viel. Und dann wurden in der Regel ein paar Schmöker von Edgar Wallace, Agatha Christie und natürlich die Sherlock-Holmes-Romane von Conan Doyle hervorgeholt“, erinnert sich der 39-Jährige. Früher hat er die Buchhandlung „Blauer Affe“ in Hamburg, St. Pauli geführt, dann begann er mit ersten Krimi-Ankaufversuchen – immer „auf der Suche nach einer Wiederholung der kindlichen Leseerlebnisse“.

Detektivischen Spürsinn benötigte er, um eine komplette Reihe aus den 1920er Jahren zusammenzutragen. Immerhin wusste er, dass die stereotype Antwort der Buchhändler nicht der Wahrheit entsprach. Schließlich kannte er ein paar Frank-Heller-Romane, die er als Zwölfjähriger auf dem Dachboden seiner Großmutter entdeckt hatte. Ab 1912 bis hinein in die Vierziger Jahre feierten sie auch in Deutschland mit Titeln wie „Die Diagnosen des Dr. Zimmertür“ Verkaufserfolge. Unter dem Heller-Pseudonym Martin Gunnar Serner verfasst, hatten die von Emil Preetorius illustrierten Romane offenbar seine frühe Lust am Lesen und später sogar seine Sammelleidenschaft geweckt.

In den folgenden Jahren kamen weitere 20er-Jahre-Titel wie „Die Stadt ohne Juden“ von Hugo Bettauer hinzu. Mit Antisemitismus haben sie allerdings nichts zu tun. Im Gegenteil: Als ukrainischstämmiger Jude, der zum Christentum konvertierte, widmete sich der kritische Journalist Bettauer mit wechselnden Wohnsitzen in Wien, New York und Berlin als Krimiautor vor allem sozialen Themen.

Aber auch längst vergessene Werke wie „Die alte Brauerei, oder Kriminalmysterien aus New York“ des deutschen Schriftstellers Theodor Griesinger von 1859 und „Der Diebsfänger“ des österreichischen Journalisten Heinrich Ritter von Levitschnigg von 1860 werden jetzt auf dem Resthof in einem Nebengebäude in Vitrinen, Regalen oder freihängend hinter Glas gezeigt.

Alle ausgestellten Bücher sind auch in der von Schädel selbst verlegten „Illustrierte(n) Bibliographie der Kriminalliteratur im deutschen Sprachraum 1796 bis 1945“ mit annähernd 9.000 Titeln aufgelistet. Nur die Abenteuer- und Jugendkrimis sowie die Masse an erzählten wahren Verbrechen hat er hier wie dort ausgespart.

Ob für Adel und Bürgertum in Leinen gebunden oder als Groschenheft für den flüchtigen Konsum hergestellt: Die Sammlung belegt die massenhafte Verbreitung des Kriminalromans im deutschsprachigen Raum zu einer Zeit, als die so genannte Eisenbahn- oder Reiseliteratur ihre erste Blüte erlebte. Ein Großteil dieser bis heute meistens als Trivialliteratur eingestuften Erzeugnisse wurde am Ende weggeschmissen. Vielleicht gerade noch rechtzeitig hat Schädel die Reste gerettet. EVA MÖLLERS

Eröffnung: Sonntag, 1. Juli, 19 Uhr mit Krimiautor Jürgen Alberts und dem musikalisch-szenischen Trio Radebass; Eintritt: 14 Euro; um vorherige Anmeldung wird gebeten. Danach Besuche vorerst nur nach telefonischer Anmeldung ☎04735 / 810 306. Eintritt: 2 Euro. 26969 Butjadingen-Stollhamm, Hauptstraße 80.

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