Dinge werden passieren

GRIECHENLAND Immer nur Krise denken – das blockiert. Im Kunstprojekt „Tempus Ritualis“ begegnen die deutsch-griechischen Kuratorinnen der Misere mit Leichtigkeit

Die Krise, das belegt „Tempus Ritualis“, definiert das Land nicht komplett neu

VON INGA BARTHELS

Eine karge Promenade, dahinter nur Meer und Horizont. Ab und zu fliegt eine Möwe vorbei, jemand joggt durch das Bild. In der Videoarbeit von Pia Greschner passiert scheinbar nicht viel. Erst ein Blick auf den Titel der Arbeit lässt ihre Botschaft erkennen: „Amazing things will happen“ – großartige Dinge werden passieren. Der Horizont verspricht Hoffnung auf Veränderung.

Rohe Eier balancieren

Es ist die Strandpromenade von Thessaloniki, die Greschner gefilmt hat. Das kulturelle Zentrum der Region Makedonien war Ausgangspunkt für die Ausstellung „Tempus Ritualis“, die zurzeit in der Galerie im Körnerpark zu sehen ist. In Thessaloniki trafen sich ihre Kuratorinnen Christina Dimitriadis, Christine Nippe und Evanthia Tsantila, um ein deutsch-griechisches Kulturprojekt ins Leben zu rufen, das sich mit neuen Arten des Zusammenlebens und kulturellen Entwicklungen nach der vielbeschworenen Krise auseinandersetzt. Zehn KünstlerInnen aus Griechenland und Deutschland verbrachten Zeit in der zweitgrößten Stadt Griechenlands, ließen sich vor Ort inspirieren und zeigten die Werke diesen Sommer zunächst in Thessaloniki.

„Tempus Ritualis“ ist eine leichte, fast fröhliche Ausstellung. Die wirtschaftliche Situation des Landes schwingt stets mit in den Arbeiten, doch sie ist nicht ihr Mittelpunkt. Nina Fischer und Maroan el Sani etwa fragten Einwohner von Thessaloniki für ihre Videoarbeit „Dynamis“, rohe Eier so zu balancieren, dass sie aufrecht stehen. Es ist amüsant, ihnen dabei zuzuschauen, und berührend, wenn sie schließlich nach teilweise minutenlangen Bemühen ihr Ei zum Stehen gebracht haben und stolz in die Kamera blicken. Die symbolische Dimension des Werkes ruft ein Schwenk der Kamera auf die Bank von Griechenland ins Gedächtnis. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Griechenland, zerbrechlich wie ein rohes Ei und ebenso schwer zu balancieren.

Christina Dimitriadis präsentiert in der Ausstellung drei Fotostrecken. Zwei davon zeigen GriechInnen beim Spielen, am Strand und in der Familie. Die dritte widmet sich einer der vielen Bauruinen in Griechenland, die in den letzten Jahren entstanden sind und im Kontrast zu den Ruinen der antiken Tempel stehen. Gegenwart und Vergangenheit werden hier spielerisch zusammengebracht.

Auch in Lia Nalbantidous Fotografien ist dieser Gegensatz das Thema. Sie dokumentiert verlassene Orte nächtlicher Zusammenkünfte in der Stadt. Leere Stühle im Morgengrauen, Parkplätze, Grasflächen. Die Fotografien haben eine surreale Qualität, das Geschehene lässt sich nur mehr erahnen. „Urban Secret Garden“ heißt das Projekt, vielleicht ein ironischer Verweis auf die hippen urbanen Gärten Berlins. Denn Nalbantidou beschäftigt sich auch mit den Überbleibseln der nächtlichen Zusammenkünfte der EinwohnerInnen Thessalonikis, die obdachlos sind und sich wohl oder übel im urbanen Raum zusammenfinden müssen.

Griechenland wurde und wird im öffentlichen Diskurs zum Sinnbild der Krise hochstilisiert. Doch diese Krise, auch das belegt „Tempus Ritualis“, definiert das Land nicht komplett neu. Neben neuen sozialen Strukturen, die entstehen, bleiben alte Rituale bestehen. Das verdeutlicht die Dokumentarfilmerin und Künstlerin Eva Stefani in ihrem großartigen Film „The Bathers“. Er folgt SeniorInnen zu ihren Sommeraufenthalten in griechischen Spa-Orten. Sie sind dort– naheliegend – hauptsächlich mit Baden beschäftigt. Im Schlamm, im Meer, im Pool. Dabei herrscht eine ausgelassene Stimmung, ständig singt jemand griechische Volkslieder. Zwei Witwen machen sich auf dem Weg zum Baden darüber lustig, dass ihre Körper außer Form geraten, weil sie Sex nun mit Süßigkeiten ersetzen. In einer anderen Szene sitzen sie auf Campingstühlen aus Plastik, trinken Kaffee und lesen Kaffeesatz.

Der Film gibt einen Einblick in das Leben der griechischen SeniorInnen, das trotz Krise so schlecht nicht zu sein scheint. Sie strahlen Lebensfreude aus. Ihrer teilweise prekären wirtschaftlichen Lage und ihrem nahe bevorstehenden Ableben begegnen sie mit Galgenhumor. Sie wissen, sie werden keine Veränderung mehr miterleben. Für alle anderen, das macht „Tempus Ritualis“ in einem kleinen, künstlerischen Rahmen deutlich, bleibt die Hoffnung. Dinge werden passieren. Vielleicht ja sogar großartige.

■ Tempus Ritualis: Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Neukölln. Di.–So. 10–20 Uhr, bis 11. 1. 2015