PRESS-SCHLAG
: Joachim Löw fragt sich: Kaschmir oder Kuschelmerino als Sichtschutz?

KOMMUNIKATION Offiziell nur noch mit Sponsor, ansonsten ausschließlich hinter vorgehaltener Hand: Im Fußball wird nur mehr uneigentlich gesprochen

Der internationale Fußball leidet derzeit, jenseits von Banalitäten wie Ergebnissen und Taktik, an zwei Problemfeldern: einem optischen und einem akustischen, das eigentlich auch ein optisches ist. Das originär Optische heißt Stellwand. Davor muss sich ein jeglicher Kicker stellen, wenn er was sagen soll. Damit einen hinter dem Spieler, der meist nichts zu sagen hat, sondern nur spricht, diese Werbelogos angaffen: kleinteilig, beliebig, in jeder Reihe und Spalte aufs Neue. Ein ästhetisches Grauen noch schlimmer als die Trikotagen der deutschen Weltmeister 1990. Diese Stellwände finden sich auch in den Presseräumen hinter den Trainertischen.

Es ist so billig, so banal, so hässlich. Alle senden es und drucken es. Und niemand steht auf und sagt: Schluss mit dem augenquälenden Werbedreck.

Das akustisch-optische Phänomen zeitgenössischen Fußballs ist die vorgehaltene Hand. Kaum wer auf den Mannschaftsbänken unterhält sich noch ohne Sichtschutz, meist gewollt beifällig ausgeführt, als wäre die Hand nur zum Mundabputzen im Bild. Auch auf dem Platz raunen sich Spieler ihre Wichtigkeiten schon mit der manuellen Barriere zu.

Angefangen hat das in Spanien. Dort waren die ersten Lippenleser aktiv, denen angeblich noch kein „Schiri, du alter Übelwichser“ eines sonst gentlemanartigen Übungsleiters entgeht. Sie sehen auch, wenn Arjen Robben sagt: „Godverdomme, der Franck stolpert gleich über seinen Bart, unser alter Dampfbackenfranzose. Sieht ja schon aus wie ein IS-Kämpfer.“

Vieles ist ungeklärt. Stenografiert bei jeder Live-Übertragung ein Mitglied der Lippenleser-Überwachungsmafia die Kommentare mit? Was sagt der Datenschutzbeauftragte? Haben Fußballprofis ein Recht auf mündlich-informationelle Privatsphäre? Aber der händische Schutz gegen Lippenleser wirkt so putzig wie ein Kaffeefilter gegen NSA-Abstreamer.

Nicht mehr lange, dann tragen sie auf der Auswechselbank alle dauerhaft einen medizinischen Mundschutz. Oder gleich Strumpfmasken. Am Samstag bereitete Bastian Schweinsteiger sein Comeback schon mit einem Tschador-Schal vor, hochgezogen bis über die Nase. Bald folgt die Fußball-Burka. Oder die moderne Generation Kopf unten kommuniziert – auch während des Spiels – nur noch senkhauptig per SMS miteinander.

Joachim Löw, der im manuellen Duett mit seinem neuen Co-Trainer Thomas Schneider auch schon mit dem Sichtschutzgefinger angefangen hat, könnte das Problem modisch lösen: Den ewigen Schal in seinem souveränen Fluffigkeitsschick nur etwas lockerer umknoten und höher (höggscher?) ziehen. Eine solche JogischleifeTM – sommers Kaschmir, winters Kuschelmerino – hätte bald die gleiche Berühmtheit wie der klassische Windsorknoten bei den Krawatten. Und niemand wüsste je, was der Bundestrainer sagt. Thomas Schneider allerdings auch nicht.

BERND MÜLLENDER