Nicht nur Lieder aus der Mottenkiste

OSTWESTFALEN Der SC Paderborn stellt weiter die Bundesliga auf den Kopf und erkämpft sich auch im Derby gegen Borussia Dortmund ein 2:2-Unentschieden. Marco Reus verletzt sich erneut schwer und fällt Monate aus

Die offensichtlichen Technik- und Tempodefizite gleichen die Paderborner mit Leidenschaft aus

AUS PADERBORN MACUS BARK

Regungslos saßen die Geschäftsführer und der Präsident von Borussia Dortmund auf den Ledersitzen vor der Glasscheibe. Um sie herum klatschten die Fans des SC Paderborn in die Hände und stimmten ein in die angestaubten Freudenlieder. „Oh, wie ist das schön“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ drang aus den Lautsprechern und den Kehlen. Der Aufsteiger feierte das 2:2 gegen den BVB enthusiastischer als den Sieg im Heimspiel zuvor gegen Hertha BSC.

Sie hatten in Ostwestfalen Spieltagsschals anfertigen lassen, wie der Gegner es in der Champions League macht. Schon vor dem Anpfiff waren die Schals ausverkauft gewesen, genau wie das Stadionheft. Der Besuch von Borussia Dortmund in dem kleinen Stadionkasten am Möbelhaus des großen Gönners Wilfried Finke war das „Spiel des Jahres“. Das hatten Spieler und Trainer vor der Begegnung wie ein Mantra wiederholt.

Mediensprecher Matthias Hack leitete die Pressekonferenz so sachlich ein wie immer. Der Stolz war dennoch herauszuhören: „Das Spiel endete 2:2 nach einem 0:2 zur Pause. Der SC Paderborn steht jetzt bei 16 Punkten.“ Hack bewahrte Feingefühl und verschwieg die vergleichsweise dürftige Punktausbeute der Dortmunder, vielleicht auch unter dem Eindruck der erneuten schweren Verletzung von Marco Reus nach dem rüden Foul von Marvin Bakalorz. Am Sonntag kam die Diagnose: Der Nationalspieler zog sich einen Außenbandriss im rechten Sprunggelenk zu und wird dem BVB bis mindestens Januar fehlen.

SC Paderborn 16 Punkte, Borussia Dortmund 11: Die Tabelle der Bundesliga nach dem zwölften Spieltag würde sich – auf T-Shirts gedruckt – auch gut in Ostwestfalen verkaufen. Nach Angaben des Klubs gibt der SC Paderborn 17 Millionen Euro im Jahr für seine Lizenzspieler aus, die Dortmunder sind bei gut 100 Millionen angekommen. Als „krassesten Außenseiter aller Zeiten“ hatte Tainer André Breitenreiter seine Mannschaft vor dem Beginn der Saison bezeichnet. Drei Monate später setzte sich Kollege Jürgen Klopp hinter das Mikrofon und sprach davon, dass er „mit dem Unentschieden leben kann, denn hier wird sehr gute Arbeit geleistet“. Nun mag der Trainer des BVB wegen der Sorge um Reus ein wenig durcheinander gewesen sein, aber dieser Satz stand nun mal so in der Welt. Borussia Dortmund gab sich mit einem 2:2 beim Aufsteiger nach 2:0-Führung zufrieden. „Das ist ein überragendes Ergebnis für uns“, sagte Breitenreiter. Wegen der besonderen Schwingungen im Presseraum bemühte sich allerdings auch er darum, so sachlich wie möglich herüberzukommen.

Bakalorz, der sich mehrfach für sein Foul entschuldigte, war die tragische Figur im Trikot der Paderborner, Mahir Saglik hätte die glücklichste sein können. Der Stürmer erzielte in der 81. Minute kurz nach seiner Einwechslung den Ausgleich: „Das Tor ist für mich natürlich ein tolles Gefühl. Ich brauche aber erst mal eine ruhige Minute, um das zu realisieren.“

Die beiden Hauptfiguren haben gemein, dass sie schon mal für den Gegner spielten, wie auch Torwart Lukas Kruse, wie auch Kapitän Uwe Hünemeier, der wegen einer leichten Gehirnerschütterung ausgewechselt werden musste, wie auch Mario Vrancic, der als Stratege im defensiven Mittelfeld ein ganz wichtiger Faktor für den Aufsteiger ist. Ihre Zeit beim BVB verbrachte die Fraktion überwiegend in der zweiten Mannschaft, nun beweist sie auf dem obersten Level, dass sie mithalten kann. Technisch und vom Tempo her sind mehrere Profis der Paderborner zwar höchstens auf Zweitliganiveau. Sie glichen diese Defizite auch gegen Dortmund aber wieder mit Leidenschaft und einem recht einfachen Rezept aus. „Wir haben in der Pause gesagt, dass wir nichts mehr zu verlieren haben und jetzt alles probieren müssen“, sagte Breitenreiter. Die Paderborner wurden aggressiver und ein bisschen mutiger, warteten aber hauptsächlich weiter auf Fehler des Gegners. Das reichte, um den BVB einzuschüchtern. Eine Halbzeit später konnten die angestaubten Freudenlieder aus der Mottenkiste geholt werden.