Ein Auftritt in heiklem Rahmen

Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover: Inmitten von anti-polnischem Tumult und revanchistischen Slogans lehnt Ministerpräsident Christian Wulff Entschädigungsforderungen und die „Aufrechnung der Opfer und Verluste“ ab

Der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) untersagte den Schlesiern 1990, ihre Deutschlandtreffen in Hannover abzuhalten. Zuvor hatte hier eine Veranstaltung unter dem Motto „Schlesien bleibt unser“ gestanden. CDU und FDP vereinbarten im Koalitionsvertrag 2003, das Treffen, das seitdem in Bayern stattfand, wieder nach Hannover zu holen. Niedersachsen ist Patenland der Schlesischen Landsmannschaft, nach dem Krieg waren 700.000 Schlesier nach Niedersachsen geflohen. Die Grünen hatten Wulff von einem Auftritt abgeraten, da revanchistische Forderungen der Landsmannschaft das angespannte deutsch-polnische Verhältnis belasten könnten. Am Freitag hatten 150 Demonstranten in Hannover gegen das Treffen der „Ewiggestrigen“ protestiert. Die Landsmannschaft Schlesien hat nach eigenen Angaben gut 200.000 Mitglieder.  KSC

VON KAI SCHÖNEBERG

Es gibt schlesische Knoblauch-Wurst, in Messehalle 2 hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Breslau heißt Breslau und nicht Wrozlaw“. Tausende stehen auf und singen das Schlesier-Lied, als auf dem Deutschland-Treffen der Vertriebenen Trachten-Gruppen Fahnen und Wappen mit der Aufschrift „Schlesien ist nicht in Polen – Die Wahrheit wird euch frei machen“ auf das Podium tragen. Schlesier-Treffen – nach Angaben der Veranstalter sind rund 50.000 Vertriebene aus ganz Deutschland am Wochenende nach Hannover gekommen, die meisten davon Senioren. Ihr Motto: „Schlesien verpflichtet“.

Die „Einheit von West- und Mitteldeutschland haben wir nicht aufgegeben“, sagt der Vorsitzende der schlesischen Landsmannschaft, Rudi Pawelka. Dann attackiert er die polnische Regierung. Unter den Kaczyński-Brüdern finde „eine Renaissance der Geschichtsklitterung“ statt, Polen fühle sich heute „frei von Schuld“. Die nach 1945 Vertriebenen hätten jedoch „die gleiche Würde wie andere NS-Opfer“, ruft der 67-Jährige. Auch die mediale Darstellung von NS-Verbrechen als Ursache der Flucht behagt ihm nicht: „Muss es denn sein, dass immer erst die vergangenen Gräuel gezeigt werden?“

Die „Vermögensinteressen“ in den heute zu Tschechien und Polen gehörigen ehemaligen deutschen Gebieten müssten gewahrt werden, meint Pawelka. Es wäre „unnatürlich“, auf die Forderungen zu verzichten. Gnädig zeigt er sich nur gegenüber seinem Gastgeber: Dass Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) das Schlesiertreffen zum ersten Mal seit 18 Jahren wieder nach Hannover geholt habe, könne mit Blick auf die Landtagswahl „nicht schaden“.

Da ist der so Gelobte allerdings schon nicht mehr zugegen. Trotz heftiger Kritik im Vorfeld hatte Wulff es sich nicht nehmen lassen, auf dem Schlesier-Treffen ein Grußwort zu sprechen. Ein Auftritt in heiklem Umfeld: Pawelka ist Mitglied im Vorstand der rechtslastigen Preußischen Treuhand, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Entschädigungen für die Vertriebenen einklagen will.

Einen gemeinsamen Auftritt mit Pawelka versuchte Wulff also zu vermeiden. Es gebe „keinen Raum für Entschädigungsansprüche“, betonte der CDU-Bundesvize. Die „Forderungen der Preußischen Treuhand lehne ich ab“. Sie brächten Deutschland „in den Verdacht der Vergeltungssucht“. Es dürfe aber kein „Aufrechnen der Opfer und Verluste“ des Zweiten Weltkriegs geben, sagte Wulff gestern – und kassierte Buh-Rufe und Pfiffe.

Wohlwollenden Beifall bekam er hingegen für die Unterstützung des Plans, ein Zentrum für Vertreibungen in Berlin zu errichten. Außerdem kündigte Wulff an, die Lehrpläne des Landes zu ändern, damit das Thema Vertreibung künftig an den Schulen verstärkt behandelt werde. Das Unrecht, das den Vertriebenen zugefügt worden sei, dürfe nicht vergessen werden.

Gleichzeitig warnte der Ministerpräsident die Vertriebenen vor rechtsextremem Gedankengut in den eigenen Reihen. „Es gibt rechtsextreme Verlage und einzelne Personen, die ihre Interessen in den Schmutz ziehen“, sagte Wulff.

Nachdem er seinen Auftritt und die 30.000 Euro Unterstützung des Landes davon abhängig gemacht hatte, dass alle „rechtsextremen Aktivitäten“ auf dem Schlesier-Tag unterbunden werden, hatten die Veranstalter Bücher aus dem NPD-nahen „Deutsche Stimme-Verlag“, dem DVU-nahen „DSZ-Verlag“ und dem Verlag der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit von den Info-Ständen entfernt. Das hat das „Antinationalistische Bündnis Nord“ (ABN) beobachtet.

Allerdings hat das ABN auch gestern noch Flugblätter der „Preußischen Treuhand“ sowie des „Arbeitskreises Deutsche Zwangsarbeiter“ (AKDZ) auf den Büchertischen entdeckt. Der AKDZ setze den Begriff NS-Zwangsarbeiter in Anführungszeichen und sehe die Arbeit für das Nazi-Regime in „bester NS-Logik“ als „Selbstaufopferung für alle Deutschen“, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses. Auch im Angebot: das Hörbuch „Der Krieg, der viele Väter hatte“, in dem die deutsche Kriegsschuld in Frage gestellt wird.