„Der große ökologische Umbau liegt noch vor uns“

AUFBRUCH Kurz nach dem Mauerfall in Berlin gründete sich die erste Grüne Partei der DDR, um auf Waldsterben und verdreckte Flüsse aufmerksam zu machen. Mitbegründer Ernst Paul Dörfler schrieb damals das erste Parteiprogramm auf seiner Schreibmaschine

■ 64, war Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR, saß 1990 als Abgeordneter in der Volkskammer und bis Dezember 1990 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

taz: Herr Dörfler, vor genau 25 Jahren hat sich die Grüne Partei der DDR gegründet. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ernst Paul Dörfler: Seit den achtziger Jahren habe ich mich im Umweltschutz engagiert. Die Nachricht, dass sich in Berlin eine Umweltpartei gründen will, kam also auch bei mir in Steckby im heutigen Sachsen-Anhalt an. Meine damalige Frau und Mitstreiterin und ich fuhren nach Berlin. Wir fuhren allerdings mit gemischten Gefühlen hin.

Warum?

Mir war klar: Es muss eine Partei werden. Obwohl ich ganz tief in mir sitzende Aversionen gegen Parteien und Parteistrukturen hegte. Aber die Grünen im Westen, über die ich mich im Westfernsehen informiert hatte, strahlten Sympathie aus. Ihr Anspruch an den Umweltschutz kam mir als Ökologe entgegen. Diese Themen konnten die Grünen nur als Partei auf die politische Bühne bringen. Die Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos allerdings konnte ich schon damals nicht nachvollziehen.

So einig waren sich die Ost-Aktivisten aber auch nicht, oder?

Es gab eine lange Debatte darüber, ob überhaupt eine Partei gegründet werden sollte. Matthias Platzeck zum Beispiel …

der spätere Umweltminister und Ministerpräsident Brandenburgs, heute SPD-Mitglied. Er plädierte gegen eine Partei und für ein ökologisches Netzwerk. Das wurde am selben Tag auch gegründet. Die Grüne Liga gibt es heute noch.

Die Ost-Grünen waren damals ein bunter Haufen aus Umwelt- und DemokratieaktivistInnen, FrauenrechtlerInnen.

Die Umwelt- und Demokratiebewegung in der DDR kannte sich untereinander, oft aber nur regional. Am Gründungstag sah ich plötzlich jede Menge unbekannter Gesichter. Wir taten etwas, was noch Monate zuvor undenkbar war: Wir gründeten einfach eine Partei, und zwar eine, die das aufgriff, was in der DDR totgeschwiegen wurde: Waldsterben, verdreckte Flüsse, Raubbau an der Natur.

Wollten Sie eine Vereinigung mit den Westgrünen?

Die Frage ist eher: Ab wann wurde darüber nachgedacht? Der erste Programmentwurf vom Dezember 1989 stammte aus meiner Schreibmaschine, mit zehn Durchschlägen, die ich mit der Post verschickt habe. Das Programm war eine klare ostdeutsche Perspektive. Aber bald wurde deutlich, dass das nicht so bleiben wird. Die gesamte gesellschaftliche Entwicklung ging in Richtung Wiedervereinigung. Dafür musste man die politischen Spielregeln kennen. Ich war dankbar für Rat von Gleichgesinnten aus dem Westen.

Schon bevor sich Ost- und Westgrüne 1993 vereinigten, befürchteten Ostgrüne, in einer gemeinsamen Partei eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Darüber habe ich mich nie beklagt. Es lag ja auch immer an uns, inwieweit wir das Wort ergriffen haben.

Und die Grünen heute?

Die Flügelkämpfe sind nicht mehr so abstoßend. Man geht gesitteter miteinander um.

Die Grünen sind im Mainstream angekommen?

Im Mainstream lassen sich bei Wahlen mehr Prozente gewinnen. Derjenige gewinnt, der den meisten Wohlstand verspricht. Das ist aber eine Täuschung, die in einer Enttäuschung münden wird. Der große ökologische Umbau liegt noch vor uns. Und der geht nur mit den Grünen.

Die Energiewende hat aber die CDU eingeleitet, oder nicht?

Nachdem die Grünen jahrzehntelang die Vorarbeit geleistet haben. Sie sind die besten Ansprechpartner für Umwelt- und Verbraucherschutzverbände, auf Landes- und Bundesebene.

INTERVIEW: SIMONE SCHMOLLACK

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