Verteidiger stolpert über Tabu-Linie

Er war vier Jahre alt, als im August 1945 die Atombombe auf seine Heimatstadt Nagasaki fiel. Dass der japanische Verteidigungsminister Fumio Kyuma in einer Rede am Samstag die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki als „unvermeidbar“ bezeichnete, löste in Japan Empörung aus – und zwang Kyuma gestern zum Rücktritt.

Für Japans konservativen Premierminister Shinzo Abe wird es damit immer ungemütlicher: Drei Wochen vor den Parlamentswahlen zerfällt sein Kabinett weiter. Im Mai hatte sich Agrarminister Toshikatsu Matsuoka nach Korruptionsvorwürfen umgebracht, zwei weitere Minister waren zuvor zurückgetreten.

Mit Kyuma verliert der Premier einen erfahrenen Minister: Nach dem Studium der Rechtswissenschaften wurde Kyuma 1971 ins Stadtparlament von Nagasaki gewählt, seit 1980 sitzt er im japanischen Unterhaus. Seine Karriere in der konservativen Partei LDP führte ihn ins Verteidigungsamt, das er von 1996 bis 1998 leitete. Nach dem Wahlsieg von Abe bekam er denselben Posten erneut übertragen – verbunden mit einer besonderen Aufgabe: das Verteidigungsamt, das in Japan seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges für die Landesverteidigung zuständig war, zu einem vollwertiges Ministerium umzubauen. Ein umstrittenes Vorhaben: Artikel 9 der japanischen Verfassung verbietet es dem Land, je wieder Krieg zu führen. Kritiker sahen diesen Grundsatz bereits durch den Aufbau einer hochmodernen „Verteidigungsarmee“ und Einsätze japanischer Soldaten im Irak gefährdet.

Kyuma schien der passende Mann für die heikle Aufgabe: Galt er doch im Gegensatz zum „Falken“ Abe als gemäßigt und eher skeptisch gegenüber Änderungen der pazifistischen Verfassung. Bei der Einweihung des Ministeriums betonte Kyuma, es gebe „Dinge, die nicht geändert werden sollten“ – und zu denen gehöre auch die Zusicherung Japans, nie mehr Militärmacht zu werden.

Bereits Ende Januar provozierte Kyuma den Ärger Abes, als er dem engsten militärischen Bündnispartner USA vorwarf, der Irakkrieg sei „ein Fehler“. Der politische Instinkt, den ihm Vertraute nachsagen, muss ihn am 30. Juni erneut verlassen haben. Die Atombombenabwürfe, die mindestens 360.000 Menschen das Leben kosteten, verteidigte er in einer Rede mit dem Hinweis, sie hätten das Ende des Krieges bedeutet – ein klarer Bruch mit dem offiziellen japanischen Standpunkt, der Einsatz von Atomwaffen könne niemals gerechtfertigt werden. Da halfen alle Entschuldigungen nichts mehr: Gestern musste Kyuma seinen Posten an die bisherige Sicherheitsberaterin Yuriko Koike abgeben. JULIANE SCHUMACHER