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Ringkämpfer und Richter

Beim Gandersheimer Theaterfestival gibt Dietmar Bär in Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“ den Dorfrichter Adam. Die Rolle scheint dem bulligen „Tatort“-Kommissar buchstäblich auf den Leib geschnitten. Das Publikum ist jedenfalls begeistert

In Heinrich von Kleists Komödie „Der zerbrochene Krug“ ist der Richter der Täter. Richtig verzwickt wird es indes, wenn der Darsteller sonst einen Polizisten mimt. Bei den am Donnerstag eröffneten Gandersheimer Domfestspielen spielt „Tatort“-Kommissar Dietmar Bär (alias Freddy Schenk) den Dorfrichter Adam. Das Publikum bejubelte die ersten Aufführungen.

Richter Adam steht auf dem Prüfstand. Unter den strengen Augen des Gerichtsrats Walter (Stephan Ullrich) muss er einen Fall behandeln, der ihn selbst in Bedrängnis bringt. Die Nachbarin Marthe Rull (überzeugend: Ingeborg Wolff) beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter Eve (Christina Schmitz), beim nächtlichen Besuch einen Krug zerbrochen zu haben. Der bestreitet die Tat, und das zu Recht. Denn niemand anders als der Richter selbst hat den Krug umgeworfen, als er beim von Eve erpressten Liebesspiel fliehen musste.

Die Dorfrichter-Rolle ist dem bulligen Bär buchstäblich auf den Leib geschnitten. Wie der „Tatort“-Kommissar Schenk ist auch Richter Adam ein bärbeißiger Typ. Ein Typ, der gerne einen trinkt, die Gerichtsakten zwischen Heuballen verfaulen lässt, den Mädchen nachsteigt und dem Gerichtsschreiber schon mal einen Ringkampf liefert. Wie es der Fortgang der Geschichte erfordert, wechselt Bär sekundenschnell Mimik und Stimmlage. Wehklagend und geschunden von den nächtlichen Eskapaden, quält er sich vom Nachtlager. Kommandiert plötzlich laut donnernd Schreiber und Hausmädchen, um sich dann wieder listig und unterwürfig beim Gerichtsrat einzuschmeicheln, der in feinem Zwirn als Supervisor dem Prozess beiwohnt und ob Adams willkürlich-selbstherrlicher Verhandlungsführung von einer Nervenkrise in die nächste stürzt. Wortmächtig und witzig versucht Bär als Richter Adam, den auf der Bühne verhandelten Fall in die Länge und seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Als die Lage schließlich aussichtslos ist, flieht er wie vom Teufel verfolgt durch die Ränge davon und entkommt so seiner Strafe. Bei der Premiere würdigten die Zuschauer den Auftritt mit begeistertem Beifall, viele Leute standen auf. „Ganz toll“, rief eine Frau immer wieder, „ganz phantastisch!“ Bär und das Ensemble freuten sich sichtlich über die Ovationen.

Erstmals seit 13 Jahren steht Dietmar Bär wieder auf einer Theaterbühne. Bereits für vergangene Spielzeiten habe er den Schauspieler engagieren wollen, sagt Intendant Johannes Klaus. Dies sei aber immer wieder an Fernseh-Verpflichtungen Bärs gescheitert.

Bär stammt aus Dortmund, seine Ausbildung erhielt an der Schauspielschule Bochum. Ab 1985 war er am Landestheater Tübingen, danach an den Wuppertaler Bühnen engagiert. Seit 1984 ist er durch einen ersten „Tatort“-Auftritt an der Seite von Götz George im Fernsehen präsent. Seit 1997 ermittelt er mit seinem Kollegen Klaus J. Behrendt im WDR-„Tatort“. Als Kommissar Schenk wurde er 2000 als bester Serien-Darsteller mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Bär hat in zahlreichen weiteren Fernseh- und Spielfilmen mitgewirkt, darunter „Was nicht passt, wird passend gemacht“, „Ein Vater sieht rot“, „Ganz unten, ganz oben“ oder „Nie mehr 2. Liga“.

Im Vorfeld der Domfestspiele löste Bärs Verpflichtung einen wahren Run auf die Karten aus. 42.000 Tickets seien im Vorverkauf geordert worden, sagt Bürgermeister Heinz-Gerhard Ehmen – ein absoluter Rekord in der fast 50-jährigen Geschichte der Festivals. Nun wollen sich auch Gandersheimer Initiativen Bärs Popularität zunutze machen. Der Eine-Welt-Laden hat den Schauspieler zu einem Besuch eingeladen und die Presse gleich dazu. Schließlich habe sich Bär schon in der Vergangenheit für fairen Handel eingesetzt.

Als zweite Produktion des Festivals hatte am Sonntag das Kinderstück „Michel aus Lönneberga“ nach Astrid Lindgren auf der Freilichtbühne vor dem mittelalterlichen Dom Premiere. Es folgen das Musical „Petticoat und Minirock“ von Hilke Bultmann und Klaus-Peter Nigey am 5. Juli sowie am 13. Juli die Operette „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach. Die Gandersheimer Domfestspiele gibt es seit 1959. Sie gehören damit zu den traditionsreichsten Freilichtspielen Deutschlands. Das diesjährige Festival dauert bis zum 12. August. REIMAR PAUL

www.gandersheimer-domfestspiele.de

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