Kuriose Blüten im Rechtsstaat

Politiker aus Kolumbien, die sich über den deutschen Rechtsstaat informieren wollen, lernten seine Funktionsweise am eigenen Leib kennen: Sie werden wegen angeblich gefälschter Geldscheine durchsucht und in Gewahrsam genommen

Wie funktioniert der demokratische Rechtsstaat in Deutschland? Mit dieser Fragestellung sind sechs kolumbianische Politiker auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung am Montag nach Deutschland gekommen. Am Dienstagvormittag haben sie eine Führung durch den Bundestag gemacht, später waren sie zu Gast bei der Stiftung. Gegen 21.30 Uhr gingen zwei Politiker, José B., der persönliche Sekretär des kolumbianischen Justiz- und Innenministers, und Camillo C., ein Kommunalpolitiker, in die kürzlich am Tauentzien eröffnete Filiale des Elektronikkaufhauses „Saturn“. Als sie ihre Einkäufe mit einem 500-Euro-Schein bezahlen wollten, erlebten sie die Funktionsweise des Rechtsstaates am eigenen Leib.

Weil das Prüfgerät an der Kasse anzeigte, dass irgendetwas mit dem Geldschein nicht stimme, informierte „Saturn“ die Polizei. Begründung: der Verdacht, dass „Blüten“ in Umlauf gebracht werden sollten. Kurz darauf erschienen zwei Polizistinnen, die jedoch nicht viel ausrichten konnten. Sie vermuteten, dass die beiden Politiker gefälschte Geldscheine am Körper versteckt haben könnten. Für die Leibesvisitation wurden männliche Zivilbeamte hinzugerufen.

Die Kolumbianer mussten sich in einem Raum der Filiale ausziehen und wurden an allen Stellen durchsucht, an denen man Scheine verstecken kann. Gegen 22 Uhr fesselten die Beamten sie und brachten sie auf den Abschnitt 27 in der Bismarckstraße. Die Handys waren ihnen abgenommen wurden, angeblich bestand Verdunkelungsgefahr. Zur Überprüfung der vermeintlichen Blüten wurde ein Fachmann angefordert.

Um 23.30 Uhr erschien eine Spezialistin vom Landeskriminalamt. Nach Überprüfung des an der Kasse vorgelegten Scheines und weiterer 500-Euro-Scheine, die die Kolumbianer im Portemonnaie hatten, gab sie „komplette Entwarnung“, sagte gestern Polizeisprecher Bernhard Schodrowski der taz. „ Um 0.10 Uhr war der Kuchen gegessen“, sagte er. Die Kolumbianer durften die Wache verlassen.

„Natürlich bedauern wir die Unannehmlichkeiten“, so Schodrowski weiter. „Zwei Stunden auf der Polizeiwache können nerven.“ Aber zum einen habe das Lesegerät „ein Problem“ festgestellt, und zum anderen seien auf den anderen Scheinen „irgendwelche Symbole“ gewesen. Für die Polizei genug Hinweise, um das Entkleiden, die Leibesvisitation, die Wegnahme der Handys, das Fesseln und den Gewahrsam zu rechtfertigen. „Das Einschreiten war der Sachlage angemessen. Deshalb wird es keine Entschuldigung geben.“

Für die Gastgeber der Kolumbianer aber ist die Sache nicht erledigt. Die Adenauer-Stiftung erwartet eine Entschuldigung von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und disziplinarische Maßnahmen: „Die Glaubwürdigkeit bundesdeutscher Institutionen ist gefährdet, wenn Gäste aus Lateinamerika in der deutschen Hauptstadt unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze in Polizeigewahrsam genommen und unberechtigten Eingriffen in Persönlichkeitsrechte ausgesetzt werden“, erklärte der Generalsekretär der Stiftung, Wilhelm Staudacher. Wenn die zu Unrecht verdächtigten Politiker am Dienstag in ihre Heimat zurückfliegen, werden sie auf jeden Fall anschaulich über die Funktionsweise des Rechtsstaates in Deutschland berichten können.BARBARA BOLLWAHN